Weißer Mond von Barbados
Sonnenlicht glitzerte, manchmal zog ein Schiff, ein weißer Bäderdampfer über den Horizont. An manchen Tagen gab es kurze heftige Stürme, und der Regen schlug gegen die Scheiben. In der Nacht sah sie nur die Sterne. Als der Mond hochkam, erhellte er den Garten, sie sah die Büsche und in der Ferne die Palmen in seinem Licht. Der weiße helle Mond von Barbados. Er war auch jetzt noch da – so, als sei nichts geschehen. Der mitleidslose weiße Mond, den das alles nichts anging.
Etwas seitlich vom Fenster stand ein hoher Tamarindenbaum. Die Zweige der Tamarinde bewegten sich anmutsvoll im Wind, sie hingen voller langer schmaler Früchte – noch geschlossen, bald würden sie reif sein.
Als es ihr besser ging, saß sie in einem Sessel am Fenster und blickte in den Baum. – Sie mochte nicht lesen. Sie lehnte das Radio ab, das man ihr hereinstellen wollte. Sie saß nur immer da, blickte in den Garten, auf das Meer, auf den Baum.
Die Brandwunden an ihren Beinen, Brandwunden zweiten Grades, heilten gut. An ihrem rechten Arm hatte sie eine tiefe Wunde, dort hatte sie sich an der Fensterscheibe verletzt, als sie versuchte, aus dem Fenster zu springen, um den Flammen zu entkommen. Eine Narbe würde zurückbleiben.
Ihre Erinnerung an das Geschehene war nur vage. Es war alles so schnell gegangen. Ihr war es endlos vorgekommen, – das Feuer, das wie ein brüllendes Tier von unten heraufstieg, die Treppe brach, Flammen und Rauch erstickten sie. Als die beiden Männer von der Barbados-Polizei, die dort eingesetzt waren, sie durch das Fenster zogen, war sie halb bewusstlos gewesen. Da brannte das Schlafzimmer schon, die Flammen erreichten ihre Beine noch, der Boden krachte bereits unter ihr. Zwei Minuten, nachdem man sie herausgebracht hatte, stürzte der Bungalow in einer Flammenhölle in sich zusammen.
Statt in das neue Krankenhaus von Bridgetown hatte man sie zu den Nonnen von St. Patricia gebracht. Hier war es leichter, sie zu bewachen und ein Auge auf die Besucher zu haben. Aber niemand hatte sie besucht, niemand hatte ihr etwas antun wollen. Lebendig oder tot, sie war nicht von Bedeutung.
Sie hatten Sverdlov – das genügte. Nach einiger Zeit zog der britische Geheimdienst die Schutzwache ab. Nur ein einheimischer Polizist blieb zurück, es war mehr eine freundliche Geste als eine Notwendigkeit.
In der zweiten Woche kam Nancy Nielson zu ihr, saß an ihrem Bett, brachte Grüße von ihrem Vater, redete all das übliche Zeug, es würde ihr bald besser gehen, sie solle sich keine Sorgen mehr machen, alles werde wieder gut.
Die Schmerzen ließen nach. Sie tauchte langsam aus dem Schleier der schmerzstillenden Medikamente wieder auf. Doch dann begann erst die wirkliche Pein. Die körperlichen Schmerzen waren vergleichsweise leicht zu ertragen gewesen.
Sam Nielson schrieb freundliche Briefe. Freunde und Bekannte schrieben, es kamen Blumen. Sogar der Hotelmanager erschien eines Tages mit einem Blumenstrauß. – Sie wollten helfen. Judith begriff es. Aber ihr konnte keiner helfen.
Niemand brachte ihr den Mann zurück, dessen Stimme sie deutlicher hörte als die Stimmen jener, die mit ihr sprachen. Dessen Händedruck sie noch fühlte, seine Arme, die sie umfingen, seine Lippen, sein zärtlicher Blick. Ihre Hände, die sich fest ineinander verschlungen hatten an der Badezimmertür – das war das letzte gewesen, was ihn mit ihr verband.
Er war tot. Er war die Treppe hinuntergegangen, sie hatte seinen Schritt gehört, und Sekunden später war die tödliche Bombe durch die offene Tür gekommen und hatte ihn vernichtet.
Einmal, ziemlich am Anfang, war ein Mann zu ihr gekommen, den sie nicht kannte. Oder kannte sie ihn doch? Ihr Kopf war so verwirrt, so unfähig, logisch zu denken. Immer nur das eine dachte sie, nur das eine – er ist tot. Der Mann hatte gefragt, ob sie irgendwelche Wünsche habe. Ob sie lieber in die Staaten zurückkehren wolle. Sie hatte den Kopf geschüttelt. Es war egal, wo sie war. Und sie wollte nichts. Sie brauchte nichts.
Er erzählte ihr, wie man sie gerettet hatte. Auch daß es eine Bombe gewesen war, eine Napalmbombe, die durch die offene Tür ins Zimmer geworfen worden war. Napalm erklärte die plötzliche Wucht und Kraft des Feuers.
Als er ging, gab er ihr die Hand.
»Auf Wiedersehen, Mrs. Farrow. Gute Besserung. Und – es tut mir so leid.«
Erst als er fort war, fiel ihr ein, woher sie die Stimme kannte. Es war der Mann, mit dem sie telefoniert hatte, einige Minuten bevor das
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