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Weißer Mond von Barbados

Titel: Weißer Mond von Barbados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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wurde.
    Richard ging auf eine Gruppe von Leuten zu, die Rachel nicht einmal vom Sehen kannte. Beherrschend darin war ein riesiger Niederländer, ein Mitglied der Niederländischen Botschaft, ein Schwergewicht, dessen Doppelkinn jedesmal gegen seinen Kragen schwappte, wenn er den dicken Kopf von einer Seite zur anderen drehte.
    »Ah, Group-Captain, ich habe Sie vorhin schon gesucht! Ich wollte Ihnen unseren neuen Militärattaché vorstellen, ein feiner Kerl, Sie werden sich bestimmt anfreunden. Kommen Sie mit, er steht da drüben bei dem westdeutschen Botschafter.«
    Während sie sich ihren Weg durch die Menge bahnten, fuhr er fort, leiser nun: »Übrigens, ich habe Sverdlov nirgends gesehen. Sie?«
    »Nein, ich habe ihn auch nicht gesehen.« Richards Antwort klang steif. Wenn es sich machen ließ, vermied er das Zusammentreffen mit Russen, überhaupt mit Ostblock-Diplomaten. Niemand würde jemals in der Lage sein, mit dem Finger auf ihn zu zeigen und zu behaupten, er habe Freundschaft mit einem Kommunisten geschlossen.
    »Macht es denn etwas aus, ob er hier ist oder nicht?«
    Der Holländer hob die mächtigen Schultern: »Nein. Es fiel mir nur auf. Denn für gewöhnlich ist es doch so, wo General Golitsyn auftaucht, ist Colonel Sverdlov nicht weit. Ah, da ist ja Jack Loder!«
    »Ich würde jetzt wirklich gern Ihren neuen Attaché kennenlernen«, sagte Richard Paterson. »Komm, Liebling!« Er faßte Rachels Arm und setzte den begonnenen Weg fort. Er hatte absolut keine Lust, mit Jack Loder zu sprechen. Patersons Ansicht nach hätte so eine Type niemals im Rahmen einer Botschaft und dazu noch in verhältnismäßig hoher Position tätig sein dürfen.
    Loder war seit einem Jahr in Washington. Vergangenen Februar war er angekommen, um die Dinge in die Hand zu nehmen. Zuvor war er Delhi zugeteilt gewesen, wo ihn die Handelsabteilung als einen Berater in Bankangelegenheiten geführt hatte. Und vor Neu-Delhi war er sechs Monate in Bonn gewesen, angeblich mit Kulturaustausch befasst. Aber wo immer er auch war, eins blieb sich gleich: Die anderen Angehörigen der jeweiligen Botschaft mieden ihn.
    Abwehrleute sind nun einmal unbeliebt, Loder hatte diese Entdeckung schon ziemlich zu Beginn seiner Karriere gemacht. Genau wie Polizisten waren sie meist auf den Umgang mit ihresgleichen angewiesen.
    Jedoch Loder störte das nicht weiter, unbeliebt zu sein. Dafür liebte er seine Arbeit. Alles kann der Mensch nicht haben. Zusätzlich war er keine sehr ansprechende Erscheinung; er war klein und drahtig mit einem grobgeschnittenen Gesicht, seine Sprache verriet ihn als Angehörigen der unteren Klassen. Er hatte fahlblondes Haar, jede Menge Falten, seine sandfarbenen Augen waren von schweren Lidern verdeckt. Er sah aus wie ein Trinker. Dabei war er Abstinenzler. In Delhi, nachdem seine Frau ihn endgültig verlassen hatte, trank er eine Weile heftig und unkontrolliert. Keiner hatte ihn allerdings je betrunken gesehen, obwohl er monatelang kaum nüchtern wurde. Nicht daß es ihm soviel ausgemacht hatte, seine Frau zu verlieren, in Wahrheit war die Ehe schon kurz nach dem Krieg in die Brüche gegangen, wie so viele Ehen, die unüberlegt geschlossen wurden. Nein, sie fehlte ihm gewiß nicht. Aber er hatte darunter gelitten, die Kinder zu verlieren. Sie waren für ihn, als sie heranwuchsen – der Junge war zwölf, das Mädchen zehn –, Kameraden geworden, die einzigen wirklichen Freunde, die er besaß.
    Die räumliche Entfernung entfremdete sie ihm natürlich, nur gelegentlich kam ein ungelenker Kinderbrief. Das erste Mal erfuhr er, was Einsamkeit bedeutete. Erst als die gewohnten Grenzzwischenfälle zwischen Indien und China sich zu einer ernsthaften Krise auszuwachsen schienen, riß er sich zusammen. Er hörte zu trinken auf und kümmerte sich wieder um seine Arbeit. Seitdem hatte er keinen Alkohol mehr angerührt, nicht einmal ein Glas Bier. Wein mochte er sowieso nicht, in den Kreisen, aus denen er stammte, betrachtete man ihn als ein albernes, kindisches Getränk. In den letzten Monaten in Delhi war er dem Intelligence Service sehr nützlich gewesen. Der dortige Botschafter, obwohl ein aufgeblasener Snob, hatte ihn so warm empfohlen, daß er diesen Spitzenjob in Washington bekam.
    In seinen Augen war Washington eine außerordentlich langweilige Stadt, so provinziell, wie nur ein Ort sein konnte, der von einer einzigen Gesellschaftsschicht beherrscht wurde. Diplomaten, nichts als Diplomaten. Nichts war eintöniger als das sich ewig

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