Weißer Mond von Barbados
sich selbst, daß sie sich das gefallen ließ. Wer war der Kerl wirklich? Er sah nicht aus wie ein Detektiv. Auch nicht wie ein Offizier. Er sah nach gar nichts aus. Klein, mittelalterlich, irgendwie schäbig. Kein Grund, sich vor ihm zu fürchten. Aber auf einmal fürchtete sie sich doch.
»Also«, begann er wieder, »nun erzählen Sie mal. Haben Sie nette Bekannte getroffen? Mit irgend jemand Freundschaft geschlossen?«
»Sie wissen ganz genau, wen ich kennen gelernt habe«, sagte sie, sich zur Ruhe zwingend. »Deswegen sind Sie schließlich hier, nicht? Er hat mir schon gesagt, daß so etwas passieren würde und daß einer von euch kommen und mir dumme Fragen stellen würde. Ich hab's nur nicht geglaubt, daß es so etwas gibt.«
»Nun, er sollte es wissen«, bemerkte Loder. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir genau erzählen würden, was geschehen ist. Wie hieß der Mann – Sie sprachen doch von einem Mann, nicht wahr, Mrs. Farrow?«
»Sein Name ist Feodor Sverdlov. Er ist Militärattaché an der Sowjetischen Botschaft. Und das ist auch schon alles, was dazu zu sagen wäre. Es sei denn, Sie möchten einen detaillierten Bericht, was wir so Tag für Tag getrieben haben, wann und wo wir zum Schwimmen gingen, wann und wo zum Essen und vielleicht auch, was wir gegessen haben. Tut mir leid, aber ich kann mich nicht an jede Einzelheit erinnern.«
»Nach Einzelheiten dieser Art werde ich Sie nicht fragen«, sagte Loder. »Möchte wissen, wie lange Joseph eigentlich braucht, um einen Kaffee zu kochen. Ich mache mir zwar nicht viel aus Kaffee, aber besser als nichts. Hat er sich außer mit Ihnen noch mit sonst jemandem angefreundet?«
»Nein«, sagte Judith. Ihre Knie waren plötzlich weich. Sie gab ihre kämpferische Haltung auf und setzte sich. Auf dem Tisch standen Nancys Zigaretten, sie nahm sich eine und zündete sie an. Sie kam ihr dünn und geschmacklos vor, sie hatte sich an Feodors russische Zigaretten gewöhnt.
»Wir verbrachten die meiste Zeit zusammen. Soviel ich weiß, hat er sonst mit keinem gesprochen.«
»Ging er manchmal allein aus – machte einen Ausflug über die Insel beispielsweise? Oder ließ er Sie irgendwo im Auto sitzen und ging allein fort? Irgendwas in der Art?«
»Nein, er ging niemals irgendwohin ohne mich.«
»Hört sich an, als seien Sie gut miteinander ausgekommen.«
»Das sind wir. Und Sie brauchen es keineswegs in diesem maliziösen Ton zu sagen, denn sonst …«, sie machte Anstalten aufzustehen; er hielt sie mit einer Handbewegung zurück.
»Sie brauchen nichts persönlich zu nehmen, Mrs. Farrow. Ich tue hier meine Pflicht, sonst nichts. Ah, da kommt Joseph. Was, zum Teufel, hast du gemacht? Ein Dinner mit drei Gängen gekocht?«
»Tut mir leid«, sagte Joseph. »Ich mußte erst die Tassen suchen.«
»Du bist auch nicht gerade die geborene Hausfrau«, meinte Loder. »Wie darf's sein, Mrs. Farrow? Milch, Zucker?«
»Danke, ich möchte nichts …«
Sie blickte auf und sah, wie der andere Mann sie beobachtete. Die beiden schienen gut aufeinander eingespielt.
»Kommen Sie, Mrs. Farrow, machen Sie es uns nicht unnötig schwer. Sie können nicht erwarten, daß Sie ungeschoren davonkommen, nachdem Sie so nahen Umgang mit einem so hohen Sowjetoffizier wie Colonel Sverdlov gepflogen haben. Und das ausgerechnet hierzulande. Sie wissen, wie mißtrauisch die Amerikaner sind auf diesem Gebiet. Sie mußten doch damit rechnen, daß wir an Sie herantreten.«
»Das habe ich nicht getan. Ich wüsste auch nicht warum. Ich habe nichts Unrechtes getan. Ich habe einen Mann kennen gelernt, der im gleichen Hotel wohnte. Wir haben unsere Zeit gemeinsam verbracht. Ich mochte ihn, und er mochte mich offensichtlich auch. Ich kann nicht begreifen, wen das was angeht!«
»Das ist die eine Ansicht von der Sache. Man kann es auch anders sehen. Sie arbeiten für einen Mann, der eine hohe und wichtige Position bekleidet, nicht wahr? Sam Nielson hat mit vielen geheimen und vertraulichen Dingen zu tun. Ist das so?«
»Das wissen Sie ja«, gab Judith zu.
»Also. – Sie sind eine attraktive Frau, zweifellos. Aber es ist doch auffallend, daß dieser Mann ausgerechnet Sie zu seinem Umgang auswählte, ausgerechnet Sie von allen Frauen, die auf der Insel Ferien machten. Können Sie sich nicht vorstellen, daß er vielleicht noch andere Motive hatte als den Wunsch, eine angenehme Begleitung für seine Ferientage zu haben?«
»Sie täuschen sich«, sagte Judith. »Ich weiß, worauf Sie hinauswollen,
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