Weißer Mond von Barbados
Blick. Dann jedoch erinnerte sie sich an General Golitsyns Anweisungen und versuchte, den Fehler durch ein Lächeln gutzumachen.
»Wo ist Kalinin? Was machen Sie in seinem Büro?«
»Er ist krank«, sagte das Mädchen. »Ich vertrete ihn. Ich hoffe, Sie werden mit mir zufrieden sein, Genosse Sverdlov. Ich werde mir Mühe geben.«
Sie brachte das nett und bescheiden heraus, doch Sverdlov betrachtete sie mißtrauisch. Seine Kopfschmerzen hatten sich verstärkt, es hämmerte hinter seiner Stirn.
»Was ist los mit Kalinin? Wo ist er?«
»Ich weiß es nicht, Genosse Sverdlov.«
Sie hatte blaue Augen, sorgfältig zurechtgemacht mit Lidstrich und Lidschatten. Mit diesen Augen blickte sie ihn offen und unschuldig an. »Man hat mir bloß gesagt, daß ich hier für Sie arbeiten soll.«
»Aha«, sagte er. »Na gut. Ich sehe hier gerade, da war ein Treffen zwischen dem Botschafter und dem tschechischen Beauftragten. Aber ich finde keinen ausführlichen Report unter den Papieren. Wissen Sie, wo der sein könnte?«
»Er müßte eigentlich da sein«, sagte das Mädchen.
Sie kam zum Schreibtisch und begann in dem Haufen Papier zu suchen. Sverdlov, der sie beobachtete, merkte, daß sie nervös war. Doch dann fand sie die gesuchten Blätter, ordentlich zusammengeheftet.
»Bitte sehr, das ist der Report, Genosse. Es tut mir leid, daß er nicht da lag, wo er hingehörte.«
»Es ist nicht gerade eine Empfehlung, wenn Sie an Ihrem ersten Tag gleich Fehler machen«, sagte er. »Aber da Sie ja nur zur Vertretung hier sind, wollen wir nicht weiter darüber reden. Ich werde Sie rufen, wenn ich diktieren will. Und bringen Sie mir bitte eine Tasse Tee.«
Als sie gegangen war, las er den Report. Alles, was sich auf Botschafter-Ebene abspielte, mußte ihm genau berichtet werden.
Die Tschechen hatten um eine Unterredung ersucht, weil von ›Time‹ bei ihnen angefragt worden war, wie die derzeitige Prager Regierung dazu stände, wenn man Dubcek interviewen wolle. Man war sehr behutsam vorgegangen, weil man Dubcek, der zur Zeit zurückgezogen auf dem Lande lebte, nicht gefährden wollte.
Die tschechische Gesandtschaft hatte erwidert, man würde in Prag anfragen. Und da die Regierung in Prag natürlich in diesem Falle nichts unternehmen konnte ohne russische Rückversicherung, war die Anfrage schließlich in der Sowjetbotschaft gelandet. – Sverdlov las das Protokoll, das über die Besprechung angefertigt worden war. Der Botschafter hatte natürlich von einem Interview abgeraten. Dubcek stand nur unter Hausarrest, nachdem er versprochen hatte, völlig aus der Öffentlichkeit zu verschwinden und sich von niemandem sprechen zu lassen …
Andererseits – der Botschafter war ein vorsichtiger Mann und um gute Beziehungen bemüht – sollte man natürlich auch nicht in direkter schroffer Form ablehnen, vor allen Dingen durfte nicht der Eindruck entstehen, als lebe Dubcek nicht unbehelligt und befinde sich nicht bei bester Gesundheit. Auf jeden Fall hatte es ein großes Palaver gegeben, das auf mehreren Seiten festgehalten war.
Der Tscheche war dagegen, den Reportern und Fotografen von ›Time‹ Visa auszustellen. Waren sie erst einmal im Land, konnte man sie schlecht daran hindern, hier und dort Gespräche zu führen. Bewachte man sie aber so streng, daß sie dazu keine Gelegenheit fanden, so würde das ein gefundenes Fressen für die kapitalistische Propaganda sein. Der sowjetische Botschafter hatte vorgeschlagen, man solle grundsätzlich gegen das Interview mit Dubcek nichts einwenden, aber zunächst einmal das ausgewählte Team von ›Time‹ ablehnen. Gründe hierfür fanden sich immer. Und wenn ›Time‹ dann eine neue Auswahl von Reportern vorschlug, konnte man das wiederholen. Auf diese Weise ließ sich die Sache so lange hinausschieben, bis der ganze Fall nicht mehr aktuell war und ›Time‹ das Interesse an dem Interview verlor.
Sverdlov las das Ganze mit herabgezogenem Mundwinkel. Jedes Blatt, das er ablegte, wurde von ihm abgezeichnet.
Nach einer Weile kam das Mädchen mit dem Tee; er blickte weder auf noch sprach er ein Wort.
Als nächstes beschäftigte ihn eine lange Korrespondenz, die sich mit einem Vorschlag Amerikas befasste, den israelischen Premierminister aufzufordern, einen persönlichen Abgesandten zu einem Gespräch mit der ägyptischen Regierung bereitzustellen, ein Gespräch, das auf neutralem Boden und ohne Wissen der Vereinten Nationen stattfinden sollte.
Dies war eine außerordentlich wichtige
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