Weißer Mond von Barbados
zuvor so ernst gewesen, nie so bedrückt.
»Es ist anders geworden. Wir sind wieder da, wo wir vor dreißig Jahren waren. Und darum habe ich den Glauben verloren. Wie du es nennst. Oder das Interesse, wie ich sagte, das klingt nicht so dramatisch. Aber dennoch möchte ich überleben. Ich sagte dir das schon, als wir auf der Insel zum ersten Mal über dieses Thema sprachen. Es gibt keine Gerechtigkeit mehr, keine Ideale. Ich tue meine Arbeit, so gut ich kann, weil ich muß. Und damit mich das Leben noch freut, habe ich dich. Das Vergnügen, mit dir hier zu sitzen. Eine Zigarette?«
»Warum steigst du dann nicht aus, wenn du so empfindest? Du könntest in Europa das Flugzeug verlassen und einfach verschwinden.«
»Nein. Ich bin Russe. Und ich will nicht im Exil leben. Ich möchte auch gern mit meiner Arbeit weitermachen. Vielleicht wird es wieder einmal anders. – Du willst mich doch nicht dazu veranlassen, zu desertieren?«
»Nein, du weißt, daß ich das nicht tue. Du sollst dein Volk nicht verraten, und das tätest du, wenn du zu uns kommst. Ich dachte nur – aufhören, einfach verschwinden. Aber es ist sicher dumm, so etwas zu sagen, wahrscheinlich ginge es gar nicht.«
»Nein«, sagte er, und das schiefe Lächeln zog seinen Mundwinkel herunter. »Es wäre für mich sehr schwierig, mich zu verstecken. Dazu brauchte ich Hilfe. Also – bleibt alles wie es ist.
Ich werde jetzt zahlen und dich zurückbringen zu den Vereinten Nationen, damit du weiterhin für den verrotteten westlichen Kapitalismus arbeiten kannst. Freitag fliege ich nach Moskau. Ich denke, daß ich in zehn Tagen wieder da bin. Vielleicht schon früher, wenn ich mit Elena klarkomme. Ich ruf dich an, wenn ich zurück bin.«
Schweigend fuhren sie in seinem Wagen zurück zu den Vereinten Nationen. Kurz vorher fuhr er den Wagen seitwärts in eine Biegung, nahm sie in die Arme und küßte sie.
»Leb wohl. Auf Wiedersehen, Dushinka!«
Im Laufe des Nachmittags traf Judith einen der Dolmetscher im Gang. Sie hielt ihn an und fragte, was das bedeute: Dushinka.
Er grinste und antwortete: »Das heißt Liebling, auf russisch. – Wer macht Ihnen auf diese Weise den Hof?«
»Danke«, sagte sie und ging in ihr Zimmer.
An diesem Tage brachte sie es nicht über sich, Loder anzurufen.
Loder war im Bett, als das Telefon läutete.
Es war der Code-Offizier, der in der Botschaft Nachtdienst hatte.
»Ich habe schon den ganzen Abend versucht, Sie zu erreichen, Sir.«
Loder war im Kino, und anschließend hatte er in einem chinesischen Restaurant gegessen. Allein – wie üblich. »Was ist los? Es ist ein Uhr in der Nacht?«
»Ein Kabel für Sie mit Dringlichkeitsvermerk. Soll ich es vorlesen, oder kommen Sie herunter?«
»Ist es ratsam, es vorzulesen?«
Loder war ganz wach. So weit er wußte, war sein Telefon sauber. Aber man konnte nie wissen, die Methoden wurden immer raffinierter. Und er dachte dabei nicht einmal an den Osten, auch die Vorstellung, daß der CIA in seinem Telefon zu Gast war, gefiel ihm wenig.
»Es ist persönlich. Soll ich es vorlesen?«
»Schießen Sie los!« sagte Loder und griff nach dem Bleistift und dem Block.
»Daphne ist krank. Komme sofort. Zustand sehr ernst. Unterzeichnet ist es Vinney.«
»Danke«, sagte Loder. »Würden Sie bitte gleich zurückkabeln? ›Nehme den nächstmöglichen Flug, Jack.‹ Und schicken Sie es gleich los. Dringend.«
Er kletterte aus dem Bett und nahm sich eine Zigarette. Daphne war seine Frau. Aber Vinney war der Codename seines Chefs in Queen Anne's Gate in London. Der Wortlaut der Nachricht war Tarnung. Daß man diese persönliche Art gewählt hatte, bewies, daß etwas Ernsthaftes geschehen war. So wichtig und so geheim, daß niemand in der Botschaft, weder der Gesandte noch der Botschafter, wissen durften, daß man Loder aus dienstlichen Gründen nach England kommen ließ. Er ging wieder ins Bett und rief die Fluggesellschaft an, um einen Flug zu buchen.
»Könnte ich bitte Mrs. Farrow sprechen? Ist sie zu Hause?« Nancy Nielson öffnete die Wohnungstür ein Stück weiter und ließ die blonde junge Dame eintreten. »Sie ist noch nicht da, aber sie wird jeden Moment kommen. Am besten, Sie warten. Bitte!«
Nancy führte die Besucherin ins Wohnzimmer und konnte sie nun deutlicher betrachten als vor der Tür. Das Haar des Mädchens schimmerte metallisch-golden, sie trug eine lange Silbernerzstola über einem roten Kostüm, das zwar teuer, aber nicht elegant aussah.
»Wie war Ihr Name?«
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