Weißer Mond von Barbados
Schreibtisches.
Nachdem sie den Kaffee ausgetrunken hatten, zahlte Stephenson. Loder bedankte sich und fügte hinzu, ein wenig ungeschickt, es würde ihn freuen, wenn Stephenson, irgendwann im Laufe des Monats, einmal sein Gast sein würde.
Das würde er gern sein, meinte Stephenson, sobald es seine Zeit erlaube.
»Genosse Sverdlov?«
Er blickte auf zu Anna Skriabine, die ihm soeben die Post auf den Schreibtisch gelegte hatte, sorgfältig geordnet, und dann zögernd stehen geblieben war.
»Ja?«
Sie blickte zur Seite, dann sah sie ihn wieder an, ihre Hände spielten nervös mit ihrem Gürtel. »Ich habe einen Brief geöffnet, Genosse Sverdlov, es tut mir leid. Aber ich wußte nicht – es stand nicht darauf, daß er privat war.«
»Dann können Sie nichts dafür«, sagte Sverdlov. Sie machte ihn nervös, sie wand sich und machte ein Theater, als sei sonst was passiert. Am liebsten hätte er sie gepackt und aus dem Zimmer geschoben. Ihr Verhältnis war sowieso nicht das beste. Sie hatte wohl inzwischen gemerkt, daß ihre Reize auf ihn nicht wirkten. Und anstatt ihre Technik zu ändern, wurde sie immer aufdringlicher. Typisch für eine Frau, die nur eine Art von Verführung kannte und nicht intelligent genug war, eine andere zu versuchen. »Welcher Brief ist es?«
»Dieser, Genosse.« Sie lehnte sich vor und tippte mit dem Finger auf den Brief. Der Duft ihres teuren französischen Parfüms stieg Sverdlov in die Nase, und auch dieses Parfüm war ihm zuwider. Er schickte sie hinaus, nahm dann den Brief und las ihn.
Er war mit der diplomatischen Post gekommen, und der Absender war Gregory Tomarov, ein alter Bekannter, Zeuge bei seiner Hochzeit.
Das erste, was Sverdlov aus dem Umschlag zog, war das offizielle Dokument über das Scheidungsersuchen seiner Frau. – Tomarov hatte einen vierseitigen handgeschriebenen Brief beigelegt.
Sverdlov las ihn langsam. Elena sei unglücklich. Sie habe sich über Einsamkeit und Vernachlässigung beklagt. Tomarov erging sich in blumigen Ausdrücken, so als müsse er Elena entschuldigen. Als sei eine Frau nicht berechtigt, sich einsam und vernachlässigt zu fühlen, wenn ein Mann seit drei Jahren in einem anderen Erdteil lebte.
Elena bilde sich ein, schrieb Tomarov, Sverdlov habe sicher eine andere Frau, und dieser Gedanke mache sie natürlich doppelt unglücklich.
Eine Scheidung – so Tomarov – sei nicht nur Unsinn, sondern auch ein ernsthafter politischer Fehler. Er würde Sverdlov dringend anraten, zu einem kurzen Besuch nach Hause zu kommen, um sich mit seiner Frau zu versöhnen, beziehungsweise sie zu beruhigen. Denn nach seiner, Tomarovs, Meinung, liebe ihn Elena nach wie vor und wolle sich im Ernst gar nicht scheiden lassen.
Dann folgten noch einige Sätze darüber, wie gern er sie beide habe, Elena und ihn, und daß es ihn sehr betrüben würde, wenn ihre Ehe so endete. Er bitte Sverdlov daher ganz dringend, so schnell wie möglich zu kommen, um die Scheidung zu verhindern.
Sverdlov legte den Brief aus der Hand, direkt auf das amtliche Dokument. Er zündete sich eine Zigarette an und dachte nach. Elena war also unglücklich und beschuldigte ihn der Untreue. Das klang ganz vernünftig. Ganz so, wie eine Frau sich benehmen sollte. War sie also doch schließlich eine normale Frau geworden, unsicher, abhängig, feminin? Vor einem Jahr noch hätte ihn der Brief Tomarovs gefreut. Er wußte, daß er Elena jederzeit zurückgewinnen konnte, er brauchte sie nur ins Bett zu legen. Das war immer seine Stärke ihr gegenüber gewesen, er wußte es. Er wußte allerdings auch, daß sie ihre Schwäche immer bereut hatte. Nachher. – Und daß sie sich selbst verachtet hatte, daß sie sich von ihm besiegen ließ. Und dann zog sie sich wieder von ihm zurück.
Wenn er also jetzt heimkehrte und sie dazu brachte, das Scheidungsbegehren zurückzuziehen, würde sie dann endlich bereit sein, sich wie eine richtige Frau zu benehmen? Ihre Arbeit aufzugeben, ihn nach Washington zu begleiten und ein Kind zu bekommen?
Er nahm Tomarovs Brief in die Hand, legte ihn dann wieder hin. – Wollte er das wirklich? Wie waren denn seine Gefühle nach drei Jahren Trennung?
Er brauchte sich diese Frage nicht zu stellen, die Antwort wußte er bereits. Nicht nur seine politische Einstellung hatte sich geändert, ebenso die Gefühle zu seiner Frau. Er liebte sie nicht mehr.
Gleichzeitig wußte er, daß es besser sein würde, nach Hause zu fliegen und Elena zurückzugewinnen. Wenn es wirklich so
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