Weißer Mond von Barbados
eine Scheidung oder sonst ein Skandal einem Mann bei seiner Karriere nicht schadet? Dann wüsstest du sehr wenig über die Gesellschaft, in der du lebst.«
»Ich spreche ja von deiner Gesellschaft, nicht von unserer. Ich dachte, bei euch ist eine Scheidung eine Kleinigkeit. So einfach wie – wie eine Abtreibung.«
»Das kommt darauf an, wer du bist. Ich weiß, das sollte keinen Unterschied machen, aber es macht einen. – Lächle nicht, ich bin jetzt seriös. Meine Frau ist eine berühmte Frau. Und noch dazu aus einer berühmten Familie. Wenn sie sich von mir scheiden läßt, schadet es mir. Und das muß ich bedenken.«
»Ich wußte gar nicht, daß du so ehrgeizig bist.«
»Ehrgeizig? – Ich möchte am Leben bleiben.«
»Du machst einen Witz!«
»Nicht ganz. Aber warum isst du nicht – es wird ja alles kalt.«
»Feodor, hör auf, so mit mir zu reden. Du bist Offizier, du hast einen diplomatischen Posten inne – wieso kann eine Scheidung dich in Lebensgefahr bringen? Lieber Himmel, du bist nicht mit Stalins Tochter verheiratet.«
»Elenas Vater kannte Stalin sehr gut. Hat dir denn dein Geheimdienstvertrauter nichts über mich erzählt?«
»Nein«, sagte Judith. »Nichts. Ich läute ihn jedesmal an, wenn ich dich treffe, und damit hat sich's. Ich habe dir das erzählt.«
»Du magst mich?«
»Ja. Du weißt es.«
»Sehr?«
»Ziemlich.« Sie malte mit dem Finger ein unsichtbares Muster auf das Tischtuch. »Wirst du lange fortbleiben?«
»Ich weiß nicht. Kommt darauf an, wie lange ich brauche, um sie dazu zu bringen, daß sie ihre Meinung ändert. Hör auf, auf dem Tischtuch herumzukratzen, und sieh mich an. Wenn ich zurückkomme, sehen wir uns dann?«
»Vielleicht willst du mich dann nicht mehr sehen. Vielleicht hast du dich doch wieder in deine Frau verliebt. Wenn ich nichts von dir höre, weiß ich Bescheid. Ich – ich meine, das ist dann schon in Ordnung.«
Er lachte laut auf. »Das ist in Ordnung? Und warum machst du dann so ein unglückliches Gesicht? – Jetzt hör mir zu: Ich bin kein kleiner Junge, der zu einer verlorenen Liebe zurückkehrt. Ich habe drei Jahre ohne sie gelebt und ich kann es sehr gut weiterhin. Ich muß zurück, um meine eigene Haut zu retten, ob du das nun verstehst oder nicht. Sie bedeutet mir nichts mehr. Ich wünsche ihr das beste, ich werde mich immer freuen, sie zu sehen, aber als Frau – das ist vorbei. Endgültig vorbei.«
Er schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Und du – du hast keinen Grund, so ein Gesicht zu machen! Bisher hast du nur nein zu mir gesagt. Immer nur nein. Bist du eigentlich ein heimlicher Maoist?«
»Endlich bist du drauf gekommen«, sagte Judith und lächelte ein wenig. »Ich kann den Tag nicht beginnen, ohne in Maos Bibel zu lesen.«
»Mir würde es den ganzen Tag verderben, wenn ich das lesen müßte. Weißt du übrigens, daß von diesem Unsinn mehr Exemplare verkauft worden sind als von der christlichen Bibel?«
»Und was ist damit bewiesen?«
Er beugte sich zu ihr und küßte sie auf den Nacken. »Daß es viel zuviel Chinesen gibt.«
»Feodor? Es ist nicht wahr, was du gesagt hast. Daß du ernsthafte Schwierigkeiten hättest? Es war ein Witz, nicht?«
»Nein«, sagte er nun ganz ernst. »Es war absolut kein Witz. Du kannst es nicht verstehen. Wenn ich nicht wenigstens den Versuch machen würde, die Sache aufzuhalten, würde mich das verdächtig machen. Viele alte Freunde ihres Vaters sind noch in Amt und Würden. Oder besser gesagt, sie sind es wieder. Es ist alles anders geworden bei uns. Der Westen hat das nur noch nicht kapiert.«
»Aber du hast doch gesagt – du hast gesagt, du hättest den Glauben an das alles verloren.«
»Ich habe das Interesse verloren«, sagte er.
Sie tranken jetzt Kaffee, und er kippte schon den dritten Löffel Zucker in das kleine Tässchen. »Wenn du willst, kannst du es Glauben nennen. – Früher glaubte ich wirklich einmal daran, daß unser Weg der beste sei, um mit den Problemen der Welt fertig zu werden.
Ich war niemals ein Fanatiker so wie Elena. Ich habe immer alles in Frage gestellt. In der Zeit nach Stalin hörte man auf, davon zu sprechen, daß man die halbe Welt vernichten müsse, um dem Kommunismus zum Sieg zu verhelfen. Es gab mehr Freiheit, mehr Toleranz. Das war meine Zeit. Daran konnte ich glauben, dafür konnte ich arbeiten.
Ich wünschte, es wäre noch so. Dann hätte sich für mich nichts geändert. Aber heute ist es anders. Leider.«
Judith sah ihn an. Er war niemals
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