Weißer Mond von Barbados
geliebt, sie war groß, gütig und verständnisvoll, sie bedeutete ihm mehr als seine Mutter. Seine Eltern sah er überhaupt nur selten; wenn er aus dem Kinderzimmer gerufen wurde, um sie zu begrüßen, war er immer ein wenig befangen.
Eine gute Schule, dann das Studium. Die erste große Erschütterung für ihn war die Entdeckung seiner abseitigen Veranlagung auf sexuellem Gebiet. Doch auch das war nicht der Grund für seine ungewöhnliche politische Bekehrung, nicht direkt. Vielleicht jedoch ein wenig der Anlass, der Anstoß dazu, Freunde und Gefährten zu finden, die sein Leben erfüllten. Und dann natürlich das Ideal.
Untergründig, ihm selbst nicht bewußt – jedenfalls am Anfang –, hatte er immer nach einer großen Idee gesucht, nach dem, was er ein Ideal nannte. Eine Zeitlang bedeutete ihm die Kirche viel. Vielleicht wäre das ein Weg für ihn gewesen. Aber die anglikanische Kirche um 1930 herum war zu trocken, wirkte nicht sonderlich anziehend auf einen begeisterungsfähigen jungen Mann. Die katholische Kirche wäre das richtige für ihn gewesen. Aber in den Kreisen, in denen er aufgewachsen war, betrachtete man Katholiken als Menschen einer niedrigen Klasse.
Er selbst gehörte einer gesellschaftlichen Oberschicht an. Doch er hatte sehr früh die Ungerechtigkeit dieser Klassenordnung begriffen und wurde davon abgestoßen. Es mußte doch eine Gemeinschaft der Menschen geben, etwas, das sie verband und ihnen allen ein glückliches Leben erlaubte.
Das waren aber mehr oder weniger unausgegorene, nicht zu Ende gedachte Gedanken und Gefühle. – Dann also das unbefriedigende Liebeserlebnis, der Schock, daß er homosexuell war, die bittere Tatsache, daß der Geliebte ihn verließ. Übrigens war das Objekt seiner großen Liebe unschuldig an seiner politischen Entwicklung. Der hatte überhaupt kein Interesse für Politik besessen und bejahte es als Selbstverständlichkeit, Mitglied einer Oberschicht zu sein. Fergus' Sehnsucht nach einer besseren und gerechteren Welt hätte ihn nur zum Lachen gebracht.
Kurz nachdem diese Liebesaffäre zu Ende war, als er noch litt und Trost suchte, fand er den Weg zum Kommunismus. Auf einer Party traf er einen damals bekannten kommunistischen Autor. Es war die Zeit, in der die meisten Studenten kommunistische Neigungen hatten, besonders jene, die aus besseren Kreisen stammten. Es galt als schick, es war Mode, Kommunist zu sein, man schwärmte für Marx und sang die Internationale. Dieser Schriftsteller, den Fergus eines Tages kennen lernte, war ein aktiver Sozialist und wurde daher von den jungen Leuten sehr bewundert und gefeiert. Sie verschlangen seine Bücher und diskutierten nächtelang darüber.
Fergus Stephenson wurde sein eifrigster Jünger. Die wilde leidenschaftliche Glut des kleinen, eher häßlichen Mannes, seine mit Überzeugung vorgetragenen Thesen über die neue, so unendlich bessere Welt, die es zu schaffen galt, dieses so ganz andere, so unbegreifliche Bild einer neuen Welt und Menschheit wirkte auf den jungen Fergus wie eine Verheißung. – Ja, man konnte es so nennen, es war eine Art religiöser Wahn, der ihn ergriff, und der von dem Autor, der selbst einem religiösen Fanatiker des Mittelalters glich, rasch erkannt und ausgenützt wurde.
So fand Fergus sein Ideal. Sein Leben bekam einen Sinn, einen Inhalt.
Plötzlich waren alle Menschen seine Freunde. Auch die Menschen jener Klassen, die für ihn gar nicht existiert hatten. Er wollte sie lieben, er würde sie lieben, auch wenn sie zunächst seine Liebe nicht erwidern konnten. Er gehörte dennoch zu ihnen. Es war zu jener Zeit überaus wichtig für ihn, einen Platz zu haben, auf den er gehörte, eine seelische Heimat gewissermaßen. Denn er wußte, daß er aus der Welt, in der er bisher gelebt hatte, ausgestoßen sein würde, wenn man sein Geheimnis kannte.
Ein Homosexueller war ein Verachteter, ein Gemiedener, einer, den man bedrohen, bestrafen, erpressen konnte. Er war gezwungen, mit einer Lüge zu leben.
Seine neuen Freunde hingegen waren großzügig, waren frei, sie nahmen das Leben wie es war. Plötzlich gehörte er zu einer Gruppe, und das war es, was er immer ersehnt hatte. Er war nicht stark genug, um allein zu bleiben.
Dann kam der Krieg. Fergus kämpfte in Nordafrika und in Italien. Die anderen Offiziere wunderten sich manchmal, warum so ein ruhiger Mensch wie Stephenson die Nazis mit so wilder Entschlossenheit bekämpfte, gerade so, als wären sie seine ganz persönlichen Feinde.
Nach
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