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Weißer Mond von Barbados

Titel: Weißer Mond von Barbados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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ihnen gestanden, darum konnte ihre Ehe nicht funktionieren. Eine vorübergehende Befriedigung im Bett wog es nicht auf.
    Er aber hatte kritisiert, immer schon. Früher weniger, zunehmend mehr. Er war so ein Narr gewesen zu glauben, daß er seinem Volk nützen konnte. Das war der große Irrtum seines Lebens gewesen. Der große Fehler, den er gemacht hatte. Der tödliche Fehler. – Ob er ihn überleben würde, war zweifelhaft. Aber auch wenn er mit dem Leben davonkam, bedeutete es das Ende seines Lebens. Es blieb wirklich nur das Überleben. Einmal hatte er das zu Judith gesagt – damals war es ein Spiel gewesen. Jetzt war es ernst. Überleben also – und was sonst?
    Niemals hatte er sich gewünscht, in einem anderen Land zu leben. Er war Russe, dachte, fühlte und benahm sich wie ein Russe. Nie hatte er den Wunsch gehabt, seine Heimat zu verlassen und zu verlieren. Er hatte ihn auch jetzt nicht. Aber es war ein teurer Preis, den er bezahlen mußte, wenn er die Heimat behalten wollte: sein Leben.
    Verräter – ein vielgebrauchtes Wort in dieser Zeit. Ein leichtfertig gebrauchtes Wort, wenn es schon genügte, eine andere Meinung zu haben, um als Verräter bezeichnet zu werden.
    Wenn es ihm gelang zu entkommen, würde man ihn auch einen Verräter nennen. Zweifellos würde es Momente geben, in denen er sich selbst so nannte. Das wußte er. Genau wie er wußte, wieviel Heimweh und Enttäuschung das Exil ihm bringen würde.
    Floh er nicht, war ihm der Tod gewiß. Es war keine Frage des Mutes oder der Verantwortung mehr. Sein Land war so und so für ihn verloren. Es würde ihn töten, oder er würde ein gehasster und gejagter Verräter sein. Die Maschinerie dieses Staates war erbarmungslos. Keiner hielt sie an, wenn sie einmal angelaufen war. Wer wußte das besser als er. Dieser Staat sah sich als eine Gottheit. Er war unfehlbar und so gnadenlos gegen Abtrünnige und Andersdenkende wie der Gott der christlichen Religion, wie der Gott jeder anderen Religion, die verkündete: ich bin die Wahrheit.
    Nie im Leben war er so einsam gewesen wie in dieser Nacht. Einsam inmitten der Menge um sich herum, es waren Fremde, Amerikaner, sie kamen aus den Kinos und Theatern und Restaurants. Sie blickten noch ein wenig in die Schaufenster, sie gingen heim.
    Er war allein. Und versuchte sich vorzustellen, wie das Leben aussehen würde, das er führen mußte, das Leben im Exil. – Nicht ein gewöhnliches Exil, er war kein Emigrant wie andere, er war einer, der sich verstecken mußte. Er mußte ein Leben im Verborgenen führen, denn für den Rest seines Lebens war er ein Mann, der sich verstecken mußte, der sich verbergen mußte im tiefsten Dunkel, denn jeder – jeder! –, der ihm hinfort begegnete, konnte sein Mörder sein.
    Ein falscher Name, ständig wechselnde Orte, ständig unter Bewachung, vielleicht später die Möglichkeit, still und zurückgezogen irgendwo zu leben, doch immer auf den Schutz des fremden Volkes, das ihn aufnahm, angewiesen. Mit der Zeit würde ihr Interesse, ihn zu schützen, nicht mehr so groß sein. Wenn man ihn tötete, würden sie die Achseln zucken. Das war eben so, das war sein Risiko gewesen. Weder Frieden noch Heimat würde es für ihn geben, nie wieder. Ein Gejagter, ein Verfolgter, ein zum Tode Verurteilter. Sie würden nicht aufhören, nach ihm zu suchen. Hohes Lob und Auszeichnung erwarteten den, der ihn fand und tötete.
    Wie ein Gefangener würde er leben. Loders Gefangener. Englands Gefangener – und er mußte ihnen noch dankbar sein, daß er ihr Gefangener sein durfte, denn nur so konnten sie seine Beschützer sein. Er mußte tun, was sie wollten, gehen, wohin sie wollten, bleiben, wo sie bestimmten. Und in ihren Augen würde er ständig eine Drohung lesen, die Drohung, ihn auszuliefern.
    Aber es blieb ihm keine andere Wahl. Es war immer noch besser, als nach Monaten der Gefangenschaft in der Lubjanka nur noch das zerstörte, wimmernde Wrack eines Menschen zu sein. Um dann doch hingerichtet zu werden, für das einzige Verbrechen, das er begangen hatte, das Verbrechen, sich ein paar selbständige Gedanken zu machen.
    Er ging immer schneller, schob sich mit gesenktem Kopf durch die Menge, die ihn wie ein Schutzwall umgab. Nicht mehr lange, dann würden die Straßen leer und verödet sein. Die anständigen Leute machten, daß sie nach Hause kamen. In der Nacht war diese Stadt ein mörderischer Dschungel, in ihr herrschten Gewalt, Raub und Tod. Nur die Mutigsten oder die Verzweifelten

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