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Weißer Mond von Barbados

Titel: Weißer Mond von Barbados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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Judiths Arm. Dann fragte er ganz normal den Fahrer, was er schuldig sei. Er gab ihm auch ein Trinkgeld. Loder – zusammengesunken in seiner Ecke – war nicht zu sehen.
    »Das sind so Kleinigkeiten, die man beachten muß«, sagte Sverdlov zu ihr. »Falls ich wirklich überwacht werde, muß ich ein Taxi ordentlich bezahlen und dich zu deiner Haustür bringen. Und damit es ganz echt aussieht, werde ich dich jetzt küssen.«
    »Es wird alles gut werden«, flüsterte Judith, als sie wieder Luft bekam. »Nein – hör auf, Feodor, ich muß eine Minute mit dir reden. Es wird doch alles gut werden, nicht wahr?«
    »Ich glaube, dieser Loder ist auf Draht, er wird keine Fehler machen. Und ich mache niemals Fehler, das weißt du ja. Und du? Weißt du, was du jetzt bist? Ein Briefkasten. Ein lebendiger Briefkasten. Kein hohler Baum und kein Mülleimer vor der Hoftür …«
    Und wieder stürzte er sich über ihren Mund wie ein Verhungernder. Es dauerte eine Weile, bis sie sich freigekämpft hatte. Er war stark, und ihr Widerstand half wenig. »Was redest du da für einen Unsinn!«
    »Du bist mein geliebter kleiner Briefkasten.« Wieder umarmte er sie. »Ich rufe dich morgen an. Wirst du mit mir kommen? Wirst du mit mir zusammen in England leben?«
    »Nein! Natürlich nicht. Hast du nichts anderes jetzt zu denken?«
    »Warum machst du dir immer noch Sorgen?«
    »Mein Gott, Feodor! Du treibst mich zum Wahnsinn. Warum ich mir Sorgen mache? Ich bin nicht so leichtsinnig wie du, für mich ist das alles kein Spaß.«
    »Wenn es kein Spaß ist, wird es ein Trauerspiel. Wenn man mich fängt und heimbringt, bin ich so gut wie tot. Ist das kein Trauerspiel? Auf jeden Fall für mich. Und vielleicht auch ein bißchen für dich. Oder täte es dir gar nicht leid um mich? Aber noch ist es nicht so weit. Im Moment ist es eben ein Spaß, in einen Briefkasten verliebt zu sein.«
    Judith war atemlos, als sie endlich die Haustür hinter sich schloß. Und sie kannte sich in ihren Gefühlen weniger aus als sonst. Nie hatte ein Mann sie so wunderbar und so stürmisch geküßt, aber es war nicht die Zeit dafür, sich romantischen Gefühlen zu überlassen. Die Angst war stärker. Denn noch war alles so ungewiss. Ein Ziel immerhin hatte sie erreicht: Loder. Das bedeutete für sie eine große Erleichterung, denn irgendwie hatte sie großes Zutrauen zu dem kleinen Mann, ganz egal, wie sehr sie sich früher über ihn geärgert hatte. Eins war ihr jedoch klar, jetzt fing es erst an. Und jede Stunde war gefährlicher als die vorhergehende.
    Auch Sverdlov wußte das. – Es war eine schöne milde Nacht. Er ging langsam durch die Straßen. Und auch seine Gefühle wechselten, manchmal war er von Zorn erfüllt, von ohnmächtiger Wut über die Geschehnisse, dann wieder sah er ein, daß ihm nichts anderes blieb, als sich in sein Schicksal zu ergeben. Er verließ das Viertel der ruhigen Wohnblocks und kam in das Geschäftsviertel der Park Avenue, die an diesem warmen Frühlingsabend von Menschen erfüllt war.
    Manchmal blieb er stehen und blickte abwesend in die hell erleuchteten Schaufenster, die bunt und lockend ihre vielfältige Ware anboten. Es kam ihm zum Bewußtsein, daß er eigentlich noch nie die Schaufenster dieser Stadt betrachtet hatte – heute zum erstenmal, und unwillkürlich verglich er sie mit den trübseligen Auslagen der Moskauer Geschäfte.
    Nun gut – und was sonst? Die Ware in Moskau war grau und langweilig, und hier verlockend und verführerisch. Warum sollte man das nicht erkennen? Das war doch noch kein Verbrechen. Er konnte nicht einsehen, warum es ein Verbrechen sein sollte, zu kritisieren. Nur durch Kritik kam man vorwärts, sie war kein Hindernis, sie war ein Ansporn. Der blinde Gehorsam, die schwachsinnige Bestätigung allem Vorhandenen gegenüber war in seinen Augen keine Tugend, sondern ein Beweis der Dummheit, zumindest der Gedankenlosigkeit. Warum verlangte sein Staat das von ihm? Begriffen sie denn nicht, daß sie dann niemals die Gefolgschaft der einigermaßen intelligenten Menschen haben konnten? Mußte jeder dumm sein und dumm bleiben, um diesem Staat und seiner Gesellschaft ein willkommener Bürger zu sein?
    Seine Frau fiel ihm ein. Sie war gewiß nicht dumm. Aber sie hatte nie kritisiert. Und seine Kritik, mit der er sie oft herausgefordert hatte, war ihr ein ständiges Ärgernis gewesen. – So wie es war, war es gut in ihren Augen. Und etwas anderes wollte sie gar nicht erst kennenlernen. Das hatte immer zwischen

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