Weißer Mond von Barbados
sich darüber. Eine Weile studierte er scheinbar aufmerksam den Report 23. Der Abteilungschef zog sich etwas zurück, blieb aber im Raum, das war so Vorschrift.
Sverdlov ließ sich Zeit. Dann sagte er: »Geben Sie mir bitte Nummer 22 auch.«
Während der Mann die Akte 22 heraussuchte, zog Sverdlov mit ruhiger Hand die letzten Seiten aus dem vorliegenden Bericht heraus, faltete sie und steckte sie in die rechte Tasche. Aus seiner linken Tasche nahm er die vorbereiteten Blätter, die er mitgebracht hatte, und fügte sie in die entstandene Lücke ein.
Der Tausch war in Sekunden vollzogen. Als ihm Nummer 22 überreicht wurde, las er immer noch mit gerunzelter Stirn in 23.
»Danke«, sagte er und nahm Akte 22.
Auch darin las er eine Weile, machte dann »Ah!« so als habe er gefunden, was er suchte. Er gab beide Akten zurück und wartete, bis alles wieder im Safe verstaut war.
»Vielleicht sollte ich besser doch unterzeichnen?« fragte er dann.
»Nicht nötig, Genosse. Es hat ja kein Stück die Abteilung verlassen.«
Sverdlov nickte und wandte sich zum Gehen.
»Guten Morgen«, sagte er, »vielen Dank.« Wieder standen alle auf, als er durch den größeren Raum schritt, langsam, wie in Gedanken versunken.
Auf dem Gang draußen steckte er die Hand in die Tasche und berührte die Papiere der Akte ›Blau‹. Der Kaufpreis für seine Freiheit. – Nun war es an Loder, herauszufinden, von wem diese Kopien kamen.
Eine Stunde später ließ er sich von einem Wagen der Botschaft zum Flugplatz fahren, um die frühe Nachmittagsmaschine nach New York zu erreichen.
Frühling im Central-Park. Es erinnerte Judith an alte Filme, die man jetzt manchmal im Fernsehen zu sehen bekam. Oder an einen Song von Cole Porter.
Die Bäume blühten, das Gras war leuchtend grün, der Himmel blau und ohne Wolken. Dieses Stück Landschaft inmitten der Stadtwüste war immer wieder ein Wunder. Am Tag! Denn in der Nacht konnte keiner hier Spazierengehen, da gehörte der Park den Verbrechern, den Räubern und Mördern. Aber jetzt spielten hier die Kinder, schoben Mütter den Kinderwagen, schlenderten Liebespaare über die Wege.
Sie wirkten auch wie ein Liebespaar. Sverdlov hatte den Arm um Judiths Taille gelegt und sprach leise auf sie ein. Sam Nielson war etwas ungnädig gewesen, als sie ihn bat, ihr für den Nachmittag freizugeben. Aber es war etwas in ihrem Blick gewesen, etwas Wildentschlossenes und zugleich Verzweifeltes, so daß er nichts sagte, nur stumm nickte. Wie gewöhnlich wartete Sverdlov im Taxi auf sie. Er schien guter Laune zu sein, küßte sie und wies den Fahrer an, zum Park zu fahren. Es sei so ein herrlicher Tag, meinte er, und darum wolle er gern mit ihr Spazierengehen.
Judith begriff, daß dies für den Fahrer gesprochen war. Sverdlov traute keinem mehr. Sie auch nicht.
Im Rückspiegel versuchte sie zu erspähen, ob der Mann am Steuer sie beobachtete. Aber der machte ein gleichgültiges Gesicht, blickte stur vor sich hin auf die Straße und schien ihnen nicht die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.
Die ersten Minuten gingen sie schweigend nebeneinander. Sverdlov hielt ihre Hand in seiner.
»Du siehst nicht gut aus«, sagte er. »Du schläfst nicht, du machst dir Sorgen. Ich glaube, du liebst mich doch.«
»Da glaubst du falsch. Ich mache mir Sorgen – das stimmt. Und ich kann nicht schlafen. Aber mit Liebe hat das nichts zu tun. Feodor, wie lange soll das noch so weitergehen? Wann geschieht etwas?«
»Jetzt. Ende dieser Woche. Am Freitagnachmittag werde ich in ein Flugzeug steigen, das mich zu einem Wochenende nach dieser hübschen kleinen Insel bringt, auf der ich dich kennen gelernt habe.«
»Du willst nach Barbados? Was willst du denn dort? Warum kannst du dich denn nicht einfach mit Loder verabreden und … ich meine, du triffst ihn, und dann läßt du alles andere ihn machen?«
Sie war mitten auf dem Weg stehen geblieben, er zog sie am Arm und ging mit ihr weiter.
»So soll es ja sein«, erklärte er. »Er bekommt die Zeit und den Ort, wo er mich trifft, alles andere ist dann seine Sache, genau wie du sagst. Du mußt mit mir kommen, Judith. Wirst du das tun?«
»Ich verstehe dich nicht«, sagte sie und war nahe daran, in Tränen auszubrechen oder ihn anzuschreien. –
Sie war einfach mit den Nerven fertig. Und jetzt machte er noch alles so kompliziert.
»Warum das ganze Theater? Du brauchst doch weiter nichts zu tun, als in die Britische Botschaft zu gehen.«
»Ich würde niemals lebend zur
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