Weisser Oleander
öffneten. Statt einer Klimaanlage drehten sich träge Deckenventilatoren. Bei genauerem Hinsehen entdeckte ich in einem großen vergoldeten Vogelkäfig einen künstlichen Papagei, der einen winzigen Sombrero trug und eine Zigarre in den Schnabel geklemmt hatte. »Das ist Charlie«, sagte Olivia. »Sei vorsichtig, er beißt!« Sie lächelte. Sie hatte leicht überstehende Schneidezähne. Ich konnte gut verstehen, weshalb die Männer sie küssen wollten.
Wir saßen auf der Samtcouch und tranken mit Honig und Pfefferminz gesüßten Eistee. Jetzt, wo ich endlich hier war, wusste ich nicht, wie ich anfangen sollte. Ich hatte so viele Fragen, doch im Augenblick fiel mir keine mehr ein. Die Einrichtung hatte mir die Sprache verschlagen. Überall, wo ich hinsah, gab es etwas Neues zu entdecken. Drucke mit botanischen Motiven, ein Granatapfel im Querschnitt, die Ranke einer Passionsblume und ihre Frucht. Bücherstapel mit dicken Bänden über Kunst und Design und eine Sammlung gläserner Briefbeschwerer füllten den Couchtisch. Es war ungeheuer schön, eine Sinnlichkeit, wie ich ihr noch nirgendwo anders begegnet war, ein zwangloser Luxus. Ich spürte förmlich, wie der verächtliche Blick meiner Mutter auf die voll gestellten Oberflächen fiel, doch ich hatte genug von drei weißen Blüten in einer Glasvase. Das Leben hatte mehr zu bieten.
»Seit wann bist du schon da drüben?«, fragte Olivia, während sie mit einem manikürten Zeigefinger das Kondenswasser an ihrem Glas herabstrich. Ihr Profil war leicht nach innen gewölbt, ihre Stirn hoch und rund.
»Noch nicht lange. Ein paar Monate.« Ich nickte zu dem UPS -Päckchen hinüber, das unberührt auf dem Couchtisch lag. »Was haben Sie geschickt bekommen?«
Olivia trat an einen kleinen Sekretär, öffnete ihn und suchte einen Brieföffner heraus. Sie schlitzte eine Seite der Schachtel auf und hob zwei Herzen aus Terracotta heraus. »Es sind Brotwärmer. Man macht sie heiß und legt sie in den Brotkorb, um die Brötchen warm zu halten.«
Ich war enttäuscht. Ich hatte etwas Geheimnisvolles und Intimes vermutet. Brotwärmer passten nicht zu meiner Vorstellung von Olivia Johnstone.
Diesmal setzte sie sich näher zu mir und legte den Arm auf die Rückenlehne der Couch. Es gefiel mir, obwohl es mich auch nervös machte. Sie schien genau zu wissen, welche Wirkung sie auf mich hatte. Ich konnte meine Augen gar nicht mehr von ihrer Haut abwenden, die wie poliert glänzte, genau in der Farbe der Tapete, und ich roch den Duft von Ma Griffe.
»Wo sind Sie gewesen?«, erkundigte ich mich.
»An der Ostküste. New York, Washington«, erwiderte sie. »Ein Freund hatte dort geschäftlich zu tun.«
»Der mit dem BMW ?«
Sie lächelte, ihre leicht überstehenden Schneidezähne blinzelten mir zu. Aus der Nähe betrachtet, hatte sie etwas Spitzbübisches an sich, nicht ganz so makellos, aber viel sympathischer. »Nein, nicht der mit dem BMW . Der ist sehr verheiratet. Dieser Mann ist noch nicht hier gewesen.«
Ich hatte schon befürchtet, dass sie sich mit mir über Brotwärmer unterhalten würde, doch da saß sie und sprach so freimütig über ihre Männer wie über das Wetter. Ermutigt drang ich weiter auf sie ein: »Haben Sie keine Angst, dass sie sich mal in die Quere kommen?«
Sie kräuselte die Lippen und zog die Augenbrauen hoch. »Das versuche ich tunlichst zu vermeiden!«
Vielleicht stimmte es. Vielleicht war sie eine. Aber wenn sie eine war, dann hatte das überhaupt nichts mit den Mädchen zu tun, die in Hotpants und Baseball-Jacken aus Satin auf dem Van Nuys Boulevard standen. Olivia war Leinen und Champagner, Terracotta, Drucke mit botanischen Motiven und »Seven Steps to Heaven«.
»Mögen Sie einen von ihnen am liebsten?«, fragte ich.
Sie rührte ihren Eistee mit einem langstieligen Löffel um, während Miles Davis in unsere Poren sickerte. »Nein. Eigentlich nicht. Wie steht’s mit dir, hast du einen Freund, jemand ganz Besonderen?«
Ich wollte ihr eigentlich erzählen, dass ich in der Tat jemanden hatte, einen älteren Mann, und meine Affäre möglichst romantisch klingen lassen, doch schließlich erzählte ich ihr meine ganze traurige Lebensgeschichte: Starr und Ray, meine Mutter, Marvel Turlock. Man konnte gut mit ihr reden, sie zeigte Verständnis. Sie stellte Fragen, hörte zu, sorgte dafür, dass die Musik weiterspielte, und brachte Tee und Zitronenplätzchen. Mir war, als sei ich auf meiner Rettungsinsel erwacht und hätte endlich eine Jacht gefunden,
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