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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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die mir ihre Badeleiter herunterließ. Man kann nie wissen, wann die Rettung kommt.
    » Es wird nicht immer so schwer sein, Astrid«, sagte sie zu mir, während sie mir eine Haarsträhne hinter das Ohr strich. »Schöne Mädchen haben gewisse Vorteile.«
    Ich wollte ihr gern glauben. Ich wollte die Dinge erfahren, die sie schon wusste, sodass ich keine Angst mehr zu haben brauchte, sodass ich glauben konnte, dass doch noch ein Ende in Sicht war. »Welche zum Beispiel?«
    Sie betrachtete mich aus der Nähe, musterte die Form meines Gesichtes, den Pony, den ich mir jetzt selbst schnitt. Mein störrisches Kinn, meine dicken, aufgesprungenen Lippen. Ich versuchte aufmerksam auszusehen. Sie nahm meine Hand und hielt sie in ihrer. Ihre Hände waren zierlicher, als ich vermutet hatte, nicht größer als meine, warm und erstaunlich trocken, allerdings ein bisschen rau. Sie verschränkte ihre Finger mit meinen, so als hätten wir immer schon Händchen gehalten.
    »Es ist eine Männerwelt, Astrid«, sagte sie. »Hast du das schon mal gehört?«
    Ich nickte. Eine Männerwelt. Aber was bedeutete das? Dass Männer flüsterten und gafften und einem Dinge hinterherriefen und man es hinnehmen musste oder dass man vergewaltigt oder zusammengeschlagen werden konnte? Eine Männerwelt, das bedeutete Orte, die nur Männer aufsuchen konnten, Frauen jedoch nicht. Es bedeutete, dass sie mehr Geld hatten, dass sie keine Kinder hatten, jedenfalls nicht so, wie die Frauen sie am Hals hatten, die jede Sekunde auf sie aufpassen mussten. Und es bedeutete, dass die Frauen die Männer mehr liebten als umgekehrt, dass die Männer etwas von ganzem Herzen wollen konnten – und dann plötzlich nicht mehr.
    Doch viel mehr wusste ich nicht über die Männerwelt. Über diesen Ort, an dem Männer Anzüge, Uhren und Manschettenknöpfe trugen, in Bürogebäude gingen, in Restaurants speisten, die Straße entlangfuhren und dabei in Mobiltelefone sprachen. Ich hatte sie schon gesehen, doch ihr Leben war für mich so unverständlich wie das der tibetischen Sherpas oder der Stammesväter aus dem Amazonasbecken.
    Olivia nahm meine Hand, drehte sie um und strich mit ihren trockenen Fingerkuppen über meine feuchte Handfläche, wobei sie elektrische Wellen durch meine Arme schickte. »Wer hat das Geld?«, fragte sie sanft. »Wer hat die Macht? Du hast einen wachen Verstand, du bist künstlerisch begabt, du bist sehr empfindsam, siehst du?« Sie zeigte mir die Linien in meiner Hand; ihre Fingerkuppen strichen wie körniger Stoff über meine Haut. »Kämpfe nicht gegen die Welt. Dein Freund, der Schreiner, der hat doch auch nicht gegen das Holz gekämpft, oder? Er hat es liebevoll bearbeitet, und was er hergestellt hat, ist schön geworden.«
    Ich dachte darüber nach, was sie gesagt hatte. Meine Mutter hatte das Holz bekämpft; sie hatte darauf eingehackt und versucht, es mit einem Hammer in die richtige Form zu schlagen. Sie betrachtete es als Inbegriff von Feigheit, wenn man nicht so handelte. »Was können Sie noch sehen?«, fragte ich.
    Olivia rollte meine Finger zusammen, wickelte mein Schicksal ein und gab es mir zurück.
    Ich knibbelte an einer Brandblase auf meinem Mittelfinger und dachte darüber nach, ob man das Holz entgegen seiner Maserung schlagen sollte oder nicht. Frauen wie meine Mutter, einsam wie Tiger, die bei jedem Schritt kämpften. Frauen, die Männer hatten wie Marvel und Starr und zu gefallen suchten. Keine von ihnen schien besser dran zu sein. Doch Olivia meinte nicht Männer wie Ed Turlock oder Ray. Sie meinte Männer mit Geld. Jene Männerwelt. Manschettenknöpfe und Büros.
    »Du wirst herausfinden, was Männer wollen und wie du es ihnen geben kannst. Und wie nicht.« Sie lächelte ihr freches, gaunerhaftes Grinsen. »Und wann du was tust.«
    Die kleine Messinguhr surrte und schlug fünf, helles Geklimper wie von einer Spieldose erklang. So viele hübsche Dinge, aber es war schon spät. Ich hatte gar keine Lust zu gehen, ich wollte noch mehr herausfinden; ich wollte, dass Olivia meine Zukunft wie Wachs formte, sie in der Hitze ihrer ausgedörrten Hände weich machte und sie in etwas verwandelte, vor dem ich mich nicht fürchten musste. »Sie meinen Sex.«
    »Nicht unbedingt.« Sie blickte zum runden Spiegel über dem Kamin hinüber, dann zum Sekretär mit seinen Geheimschubladen und Brieffächern. »Die Magie macht es, Astrid. Du musst wissen, wie du dich recken und Schönheit aus der dünnen Luft holen kannst.« Sie griff empor und gab

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