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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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vor, ein Glühwürmchen zu fangen, öffnete dann langsam ihre Hand und sah zu, wie es wegflog. »Die Menschen wollen ein bisschen Magie. Sex ist das Theater. Die Bühne, auf der es verschiebbare Stellwände und Falltüren gibt.«
    Die Magie der Nacht. Erlaube einem Mann niemals, über Nacht zu bleiben . Doch das Theater meiner Mutter diente nur ihrem eigenen Vergnügen. Das hier war etwas völlig anderes; so viel hatte ich erkannt.
    »Das ganze Geheimnis besteht darin: Ein Zauberer fällt nicht auf Magie herein. Bewundere ruhig die Fertigkeiten eines anderen Magiers, aber lass dich nie von ihm einwickeln.« Sie erhob sich und sammelte unsere Gläser ein. Und ich musste daran denken, wie Barry meine Mutter verführt hatte; mit seinen Zauberspiegeln und versteckten dressierten Tauben. Sie hatte ihn sich nie ausgesucht, nicht wirklich, doch sie hatte ihm alles gegeben. Sie würde immer seine Gefangene bleiben, selbst wenn er tot war. Er hatte ihr Schicksal bestimmt.
    »Und was ist mit Liebe?«, fragte ich.
    Sie war schon auf dem Weg in die Küche gewesen, doch nun blieb sie abrupt stehen und drehte sich um, die Gläser in der Hand. »Was soll damit sein?« Wenn Olivia die Stirn runzelte, gruben sich zwei senkrechte Falten zwischen ihre Augenbrauen und teilten ihre runde Stirn.
    Ich wurde rot, doch ich wollte es unbedingt wissen. Wenn ich ihr diese Frage nur stellen könnte, ohne gleich wie ein Clown über seine Riesenschuhe zu stolpern. »Glauben Sie nicht daran?«
    »Ich glaube nicht in der Weise daran, wie die Leute an Gott oder an die Zahnfee glauben. Liebe ist eher wie der National Enquirer: eine riesige Überschrift mit einer ziemlich öden Geschichte dahinter.«
    Ich folgte ihr in die Küche, die genauso geschnitten war wie unsere, aber dennoch Lichtjahre entfernt, ein paralleles Universum. Ihre Töpfe und Pfannen hingen an Haken von einer Wandleiste – Kupfertöpfe, Eisen. Unsere waren aus Glaskeramik, mit kleinen blauen Blumen bedruckt. Ich strich über Olivias Arbeitsplatte aus Terracotta, in die bemalte Keramikkacheln eingelegt waren; unsere dagegen waren grün-weiß gesprenkelt wie ein unangenehmer Schnupfen.
    »An was glauben Sie dann?«, fragte ich sie.
    Ihre dunklen Augen glitten zufrieden über die warmen zimt-farbenen Kacheln, über die Dunstabzugshaube aus gehämmertem Kupfer, die über dem Herd hing. »Ich glaube daran, so zu leben, wie es mir gefällt. Ich sehe eine Stickley-Lampe, einen Kaschmirpullover und weiß, ich kann sie mir leisten. Neben diesem hier besitze ich noch zwei weitere Häuser. Wenn die Aschenbecher in meinem Auto voll sind, verkaufe ich es eben.«
    Ich musste lachen, als ich mir ausmalte, wie sie ihr Auto zum Händler zurückbrachte und ihm erklärte, warum sie es verkaufen wollte. Wahrscheinlich würde sie es tatsächlich tun. Es war kaum vorstellbar, wie jemand so nah an seinen eigenen Wünschen leben konnte.
    »Ich war gerade drei Wochen in der Toskana. Ich habe den Palio in Siena gesehen«, sagte sie, wobei sie die Worte klimpern ließ wie Gitarrensaiten. »Das ist ein Pferderennen aus dem fünfzehnten Jahrhundert durch die kopfsteingepflasterten Gassen der Stadt. Würde ich das wohl gegen einen Ehemann, Kinder und ›Trautes Heim – Glück allein‹ eintauschen wollen? Vom möglichen Ausgang gar nicht erst zu reden: Scheidung, Überstunden in der Bank und wacklige Unterhaltszahlungen für die Kinder. Ich will dir was zeigen.«
    Sie nahm die kleine gesteppte Handtasche von der Ablage, zog ihre Brieftasche heraus und öffnete sie, sodass ich das fingerdicke Bündel Geldscheine sehen konnte. Sie breitete die Scheine aus, mindestens ein Dutzend Hunderter waren darunter. »Liebe ist eine Illusion. Es ist ein Traum, aus dem man mit einem fürchterlichen Kater und einem überzogenen Bankkonto erwacht. Da ist mir Bargeld lieber!« Sie steckte ihr Geld weg und zog den Reißverschluss der Brieftasche wieder zu.
    Dann legte sie mir den Arm um die Schulter und begleitete mich zur Tür. Das bernsteinfarbene Licht fiel durch das bunte Glas auf unser Gesicht. Sie verabschiedete sich mit einer kurzen Umarmung. Ich konnte Ma Griffe riechen, an ihr roch es wärmer. »Komm wieder, wann du willst. Ich kenne nicht viele Frauen. Dich würde ich gern besser kennen lernen.«
    Ich ging rückwärts aus der Tür, um sie keinen Moment lang zu verpassen. Der Gedanke, zu Marvel zurückzugehen, war mir ein Graus, daher lief ich noch einmal um den Block. Ich fühlte Olivias Arm auf meiner Schulter, in der

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