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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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und Birkenstock-Sandalen kam in einem Porsche. Manchmal war er noch da, wenn ich morgens aufstand. Dann ein korpulenter Weißer mit Halbglatze, der gestreifte Oberhemden und Zweireiher mit großen Aufschlägen trug. Er fuhr einen riesigen Mercedes und kam eine Woche lang täglich.
    Besonders fiel mir auf, wie sie immer aus ihren glänzenden Autos eilten; die Aufregung, die aus ihren Bewegungen sprach. Ich fragte mich, was sie wohl mit ihnen anstellte, wodurch sie eine derartige Dringlichkeit auslöste. Ich überlegte, welchen sie am liebsten mochte. Ich dachte mir, dass sie einiges über Männer wissen musste, wenn sie sie so magisch anzog wie ein Licht auf See.
    Ich weigerte mich, auch nur eine Sekunde lang zu glauben, dass Marvel mit ihren Vermutungen über Olivia Johnstone Recht haben könnte. Ich lebte für ihren Anblick; Olivia dabei zu beobachten, wie sie ihren Müll rausbrachte oder im trüben Morgenlicht aus dem Auto stieg, während ich mir gerade Frühstück machte, gab mir neuen Auftrieb. Die Tautropfen auf meinem Deck reichten gerade eben aus, um mich einen weiteren Tag am Leben zu erhalten.
    Ich pflückte Zweige von ihrem Rosmarin ab und steckte sie mir in die Hosentasche. Wenn ich sicher war, dass sie nicht zu Hause war, wühlte ich in ihrer Mülltonne, um mehr über sie zu erfahren, um die Dinge zu berühren, die sie angefasst hatte. Ich fand einen grobzinkigen Schildpattkamm von Kent of London – so gut wie neu, bis auf einen einzigen abgebrochenen Zinken – und eine Schachtel Holunderblütenseife von Crabtree and Evelyn. Sie trank Myers Rum und benutzte Olivenöl extra vergine aus einer hohen Flasche. Einer ihrer Freunde rauchte Zigarren. Ich fand einen unglaublich weichen Strumpf von der Art, die man mit Strumpfband trug, rauchgrau und mit einer Laufmasche. Einen leeren Parfumflakon von Ma Griffe, sein weißes Etikett war mit einem schwungvollen schwarzen Schriftzug dekoriert. Das Parfum duftete nach wispernden schwarzen Organzakleidern, getüpfelten grünen Orchideen und dem Bois de Boulogne nach einem Regenguss. Dort waren meine Mutter und ich einmal stundenlang spazieren gegangen. Paris mit Olivia Johnstone zu teilen war ein aufregender Gedanke. Ich bewahrte den Flakon in meiner Schublade auf, um meine Kleidung damit zu parfümieren.
    Dann lagen eines Tages Olivias Zeitungen und Zeitschriften unberührt auf ihrer Schwelle. Die Corvette hockte verdrossen unter einer braunen Baumwollplane, übersät von abgefallenen Jacaran-dablüten, die wie eine Mahnung an die Vergänglichkeit wirkten. Allein beim Anblick der abgedeckten Corvette wünschte ich, ich hätte noch etwas Percodan übrig. Stattdessen musste ich mich mit einem Rest Codein-Hustensaft aus Marvels Medizinschränkchen zufrieden geben. Mit diesem klebrigen, widerlichen Geschmack im Mund setzte ich mich auf meinen Bettüberwurf aus Cord und kämmte mir mit Olivias Kamm das Haar. Ihre Perfektion flößte mir Ehrfurcht ein: eine Frau, die einen handgearbeiteten Schildpattkamm wegwarf, bloß weil ein einziger Zinken fehlte. Ich fragte mich, ob sie es wirklich für Geld mit Männern trieb und wie das wohl sein mochte. Prostituierte. Hure . Was bedeutete das schon? Das waren nur Worte. Meine Mutter würde mir sicher widersprechen, doch es stimmte. Worte, die Urteile wie lange Wimpel nach sich zogen. Auch eine Ehefrau bekam Geld von ihrem Mann, und niemand sagte etwas. Und selbst wenn Olivias Freunde ihr Geld gaben – was machte das schon?
    Ich kämmte mir die Haare, steckte sie zu einem Knoten hoch und stellte mir vor, ich sei Olivia. Ich stolzierte durch das kleine Zimmer, so wie sie immer ging, die Hüften voran wie ein Model. Welchen Unterschied machte es schon, ob sie eine Hure war? Schon das Wort klang wie die Äußerung eines Bauchredners. Ich hasste es sowieso, wenn Leute abgestempelt wurden. Menschen passten nicht in Briefschlitze – Prostituierte, Hausfrau, Heilige –, sie ließen sich nicht sortieren wie die Post. Wir waren so wandelbar, formbar von Angst und Verlangen, veränderlich in Idealen und Standpunkten, beweglich wie Wasser. Ich zog mir ihren Strumpf über das Bein und roch das Ma Griffe.
    Ich stellte mir vor, dass sie nach Paris gefahren war, dass sie dort in einem Café saß und einen trüben Pernod mit Wasser trank, einen Seidenschal an ihre Handtasche gebunden wie die Frauen in ihrer französischen Vogue. Ich stellte mir vor, dass sie dort zusammen mit dem BMW -Mann war, dem ruhigen Typen mit den goldenen

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