Weißer Schatten
1984. Sie war damals das schnellste
auf der Straße.«
»Sie?«
»Natürlich, eine ›Sie‹. Schön, sexy …«
Jeanette fuhr langsam über einen künstlichen Huckel in der Straße.
»… und ohne Stoßdämpfer?«
»Schnauze, Lemmer. Deine Hausaufgaben liegen hinten.«
Ich wandte mich um und griff nach einem kleinen Stapel Unterlagen. Obenauf lag ein Firmenprospekt:
S outhern Cross Avionics. Innovation. Engagement. Qualität.
Ein Foto eines Mirage-Kampffliegers zierte die Umschlagseite. Der Prospekt |395| war in Farbe gedruckt, auf dickem, teurem Hochglanzpapier. Ich begann zu lesen.
Southern Cross Avionics ist Afrikas wichtigster Entwickler von Flugsystemen, eine Firma auf internationalem Niveau, die angetrieben
wird durch stetige Innovation, absolutes Engagement für die Zufriedenheit ihrer Kunden und die Leidenschaft für höchste Qualität
ihrer Produkte.
»Bescheidene Leute«, sagte ich.
»Propaganda«, sagte Jeanette.
Ich blätterte um. Die Überschrift lautete
Unsere Herkunft.
Im Jahr 1983 träumten zwei geniale südafrikanische Elektroingenieure einen Traum
–
den Traum, ihre eigene Firma zu gründen, denn sie waren überzeugt, dass innovative Forschung und herausragendes Design die
Eckpfeiler der sich entwickelnden Luftfahrt waren. Sie kündigten ihre Positionen bei einem halbstaatlichen Waffenhersteller
und gründeten in einem kleinen Lagerhaus in ihrer Heimatstadt Stellenbosch ihre eigene Firma.
Aus diesem bescheidenen Anfang und trotz des tragischen Verlustes eines der Gründungsmitglieder bei einem Bergsteigerunfall
im Jahr 1986 hat sich Southern Cross zu einem Multimillionen-Rand-Konzern entwickelt, der heute über fünfhundert engagierte
Mitarbeiter beschäftigt, darunter über fünfzig international ausgebildete Ingenieure.
Auf dem Weg zum Erfolg hat die Firma unter anderem zur Entwicklung eines laserbasierten Entfernungsmessers für das Daussalt
Mirage F1AZ-Kampfflugzeug beigetragen, der die ausgesprochen präzise unbemannte Steuerung und Zielführung der Waffensysteme
ermöglichte.
Während ein Großteil der Arbeit der ersten Jahre streng geheim war, führte die unschätzbare Erfahrung bei der Entwicklung
herausragender Technologien zu Produkten, die man heutzutage wahrhaft als Weltklasse bezeichnen kann.
Zu ihnen gehören das XV-700
»
Black Eagle« Boden-Luft-Raketen-Lenksystem, die XV-715
»
Bateleur« Luft-Luft-Lenkwaffe und die revolutionäre schwere XZ-1
»
Lammergeyer« Langstrecken-Panzerabwehrrakete
.
|396| Auf der dritten Seite fand sich ein Foto von Quintus Wernich unter der Überschrift
Gründungsvater und Geschäftsführer
. Er lächelte nicht, aber seinem Gesicht mit dem kurzen, stahlgrauen Haar haftete hinter der rahmenlosen Brille eine freundliche
Väterlichkeit an.
»Ich dachte, er sei Vorstandsvorsitzender.«
Jeanette schaute auf den Prospekt in meinem Schoß. »Ist er mittlerweile. Der Prospekt ist zwei Jahre alt. Sieh dir die Ausschnitte
an.«
Ich blätterte in dem Stapel. Ein Ausschnitt aus
Business Day
verkündete:
Schwarzer GF erster BEE-Schritt für Southern Cross
.
Die Ernennung von Mr. Philani Lungile zum Geschäftsführer ist nur der erste Schritt in einem anhaltenden Prozess des Black
Economic Empowerment (BEE) , erklärt Mr. Quintus Wernich, ehemaliger Geschäftsführer und jetziger Vorstandsvorsitzender des privaten Waffenentwicklers
Southern Cross Avionics aus Stellenbosch.
»Verdammter Verkehr«, sagte Jeanette. Ich sah auf. Sie wollte von der N2 auf die N7 abbiegen, aber das würde noch eine Weile
dauern.
»Solche Probleme haben wir in Loxton nie«, sagte ich.
»Lies den Beitrag über die Raketenentwicklung. Das habe ich im Internet gefunden«, befahl sie und zündete sich eine Gauloise
an.
Ich kurbelte das Fenster herunter und blätterte in den Unterlagen. Der Ausdruck stammte vom International Centre for Strategic
Research.
Südafrikas Raketenprogramm
Selbst heute weiß man wenig über Südafrikas kurzlebiges Raketenprogramm.
Das Land hat seit 1960 taktische Kurzstreckenraketen entwickeln lassen, worauf die internationale Öffentlichkeit aber erst
Ende der achtziger Jahre aufmerksam wurde, nach einem Test mit einer von dem Apartheid-Regime sogenannten
»
booster rocket« im Juli 1989.
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Westliche Geheimdienste verwiesen schon bald auf Ähnlichkeiten zwischen der südafrikanischen Waffe und Israels Jericho II
Rakete, was zu Spekulationen führte, dass Israel entscheidende technologische
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