Weißer Schatten
Direktor von SouthMed
erzählt hatte.
Ich zog mein Hemd aus. Es war voll von Emmas Blut, trocken und dunkelrot wie Wein.
Mein Oberkörper sah aus wie ein abstraktes Gemälde in den düsteren Farbtönen Rot, Schwarz und Violett. In meinen Ohren klingelte
es. Ich hatte Kopfschmerzen. Ich zog mich aus und ging unter die Dusche. Mir war kalt. Ich drehte die Hähne auf und wandte
dem Strom meinen Rücken zu. Ich zitterte.
Emma durfte nicht sterben.
Ich hatte noch nie einen Klienten verloren.
|170| Was hatte ich falsch gemacht? Der Zug! Ich hätte nie auf den Zug springen dürfen. Es hatte keine andere Möglichkeit gegeben.
Ich hätte nie an ihr zweifeln dürfen. Ich hätte ihr glauben sollen. Drei Männer. Balaclavas. Genau wie bei dem Angriff in
Kapstadt. Warum? Warum diese Tarnung? Warum hatte der Scharfschütze keine Sturmhaube getragen? Und die Handschuhe – warum
die Handschuhe?
Sie durfte nicht sterben. Ich musste das zu Ende bringen, ich musste sie beschützen. Sie würden zurückkommen. Emma war tot,
ich wusste es, weil ich nicht gut genug war.
Ich musste sie beschützen.
Ich rief vom Telefon im Wohnzimmer aus im OP an. »Ich muss wissen, wie es Miss le Roux geht.«
»Wie lautet Ihr Name?«
»Lemmer. Wie komme ich zum OP?«
»Sie rufen aus der VIP-Suite an?«
»Ja.«
»Ich rufe Sie zurück.«
Kurz darauf klopften sie an meine Tür. Ich öffnete im Krankenhaus-Pyjama und Bademantel. Es waren Maggie und der dicke Arzt.
»Doktor Taljaard macht sich Sorgen um Sie.«
»Mir geht es gut.«
»So ein Quatsch«, sagte Taljaard. »Haben Sie die Tablette genommen, die ich Ihnen gegeben habe?«
»Doktor Taljaard …«, sagte Maggie streng.
»Kommen Sie mir nicht so. Haben Sie die Tablette genommen?«
»Nein, Doc.«
»Das dachte ich mir. Ich heiße Koos. Ich mag ›Doc‹ nicht. Kommen Sie. Ich gebe Ihnen noch eine Spritze. Legen Sie sich aufs
Bett. Maggie, Sie können draußen warten.«
»Doktor Taljaard, er ist ein VIP.«
»Das ist Ihr Problem. Sein Blick ist mein Problem, er guckt verrückter als ein streunender Hund. Kommen Sie, Mann, legen |171| Sie sich hin! Wenn Sie nicht auf mich hören, tut es nur mehr weh.«
»Bitte, Doc, ich will nicht …«
»Hey!«, sagte er barsch. »Sind Sie taub?« Drohend.
Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich stand einfach nur da.
Er schloss die Tür. »Seien wir vernünftig.« Er sprach leise in einem beruhigenden Tonfall. »Ich weiß nicht, was passiert ist,
aber Sie haben ein Trauma, und zwar kein körperliches. Im Augenblick funktioniert Ihr Hirn nicht richtig, und Sie machen sich
zum Narren. Das wird Ihnen später leid tun. Erst mal beruhigen wir Sie ein wenig. Ich bin gerade aus dem OP zurück. Es gibt
noch keine Neuigkeiten, aber die Tatsache, dass sie immer noch beschäftigt sind, sollte eine gute Nachricht für Sie sein.«
»Ich muss Emma beschützen.«
Er schob mich mit fester Hand in Richtung Bett. Hörte nicht auf zu reden.
»Im Moment können Sie nichts tun. Legen Sie sich hin. Gesicht nach unten. Genau so. Nur eine kleine Spritze. Diesmal nehmen
wir die rechte Backe, die linke ist schon ein bisschen strapaziert. Ich schlage mal kurz den Bademantel hoch. Gleich geht’s
los. Es wird ein bisschen pieksen. Sehen Sie, so einfach ist das. Nein, noch nicht aufstehen. Liegen Sie eine Minute still.
Geben Sie dem Zeug die Möglichkeit zu wirken. Sie werden sich dadurch entspannen. Es wird sie auch ein wenig schläfrig machen.
Es wäre keine schlechte Idee, ein Nickerchen zu halten. Finden Sie nicht? Nur eine kurze Pause, nur einmal Atem holen.«
Eine große Schwere umfing mich.
»Kommen Sie, ich ziehe Ihnen die Hausschuhe aus. Die sind sowieso scheußlich. Kriechen Sie mal unter die Laken! Warten Sie,
so ist es besser, noch ein bisschen, genau so. Schlafen Sie gut, Mann.«
|172| 22
Der Schmerz weckte mich. Schmerz in der Schulter, im Arm, an der rechten Hüfte, am linken Knie. Ich wusste zuerst nicht, wo
ich war. Der Bademantel hatte sich unangenehm um mich verwickelt. Hinter den Vorhängen am Fenster war es dunkel. Das Wohnzimmerlicht
schimmerte durch einen Spalt der Schlafzimmertür.
Jemand war im Wohnzimmer. Ich hörte eine ruhige, tiefe Stimme.
Ich stand auf. Meine Beine zitterten. Ich richtete den Bademantel. Sah auf die Uhr. 19:41. Ich hatte fast sechs Stunden geschlafen.
Wo war Emma? Ich öffnete die Tür. Inspector Jack Phatudi saß dort. Er telefonierte mit dem Handy. Er runzelte die Stirn,
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