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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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»Tatsächlich war es eher so ein Gefühl, das mich heute zu euch geführt hat. Ich habe den Chor daher ausfallen lassen.« Bevor Elke oder Miriam etwas sagen konnten, hob Strobel die Rechte.
    »Nein, nein, ihr müsst mir dafür nicht dankbar sein. Ich weiß schließlich, wie nahe Eure Eltern dem Herrn stehen. Speziell euer Vater. Ich schlage vor, ihr besinnt euch auf das Vaterunser. Darin heißt es nicht umsonst: ›Wie auch wir vergeben unseren Schuldigem^ Friede kann schließlich nur da sein, wo auch Vergebung ist.«
    »Was machen wir denn dann hier?«, fragte Elke argwöhnisch.
    »Nun, ich dachte mir, ich komme euch etwas entgegen. Mädchen in eurem Alter brauchen schließlich auch einmal Zeit für sich, habe ich nicht recht?« Strobel zwinkerte ihnen verschwörerisch zu und zog sich den rechten Handschuh an. Elke und Miriam warfen sich verdutzte Blicke zu. »Dass sich Jungs und Mädchen ab einem bestimmten Alter kennenlernen möchten, ist doch nichts Verwerfliches. Das muss so sein«, fuhr Strobel mit sanfter Stimme fort. »Das hat der Herrgott für uns Menschen nun einmal so vorgesehen. Auch ich befand mich einst in der Pubertät und habe mich damals mit Mädchen getroffen. Ich hatte sogar eine Freundin. Kaum zu glauben, was? Das war natürlich, bevor ich mich dazu entschloss, Pfarrer zu werden.«
    »Echt?«, fragte Miriam in gespielter Unschuld.
    »Aber sicher.« Strobel musterte Elkes Schwester aufmerksam. »Im Übrigen bin ich der Pfarrer dieses Ortes. Mir entgeht nichts. Ich weiß schon lange, dass ihr euren Eltern gegenüber Heimlichkeiten habt. Wie zum Beispiel, dass ihr zu Hause behauptet, fast jeden Tag Nachmittagsunterricht zu haben – auch wenn dies in Wahrheit eine Lüge ist.« Elke und Miriam sahen sich alarmiert an. »Und ich weiß natürlich auch von dem Umgang, den ihr mit Andreas, Robert und Niklas pflegt. Man könnte fast behaupten, dass ihr fünf unzertrennlich seid, richtig?«
    Elke schluckte. »Sie wissen das und haben unseren Eltern nie etwas gesagt?«
    »Es reicht doch, dass ich es weiß, oder?« Strobel lächelte. »Oh, da wir gerade von den dreien sprechen. Ich habe fast das Gefühl, als gingen mir die Jungs aus dem Weg. Insbesondere Andreas und Robert. Dabei wäre es schön, wenn sie ebenfalls dem Chor beitreten würden. Ich hab mir daher gedacht, dass ihr die drei vielleicht dazu überreden könntet. Ich habe mir auch etwas Aufregendes einfallen lassen. Sozusagen, um das Eis zwischen uns zu brechen.« Strobel bleckte die Zähne. »Eine Nachtwanderung. Übermorgen, am Nikolaustag. Im Wald gibt es ein schönes, naturbelassenes Plätzchen, wo wir gemeinsam unsere Sangesstimmen erproben können. Die frische Luft wird unsere Lungen frei machen. Na, was haltet ihr davon?«
    »Und wenn die drei keine Lust dazu haben?«, wandte Elke verunsichert ein.
    »Oh, das wäre natürlich mehr als schade. Denn wie heißt es bei Matthäus 20,16? ›Viele sind berufen, aber nur wenige sind auserwählt.‹« Strobel sah hinüber zum Kirchturm, der sich über den verschneiten Hausdächern abzeichnete. Dann wandte er sich wieder den Mädchen zu, und diesmal klang seine Fistelstimme fast wie eine Drohung. »In diesem Fall müssten wir drei die Nachtwanderung nämlich allein antreten. Die Einwilligung eurer Eltern habe ich bereits. Ihr beide werdet also in jedem Fall mitkommen.«
    Miriam schluckte. »Wir … wir können ja mal mit den Jungs reden.«
    »Seht ihr, geht doch.« Die Lippen des Pfarrers kräuselten sich spöttisch. Er streifte sich den anderen Handschuh über. »Ich bin mir sicher, ihr beiden Hübschen werdet genügend Überzeugungskraft aufbringen. Also dann, genießt den Nachmittag.« Strobel tippte gegen die Mütze und ließ die Mädchen allein. Die starrten ihm konsterniert nach.
    »Checkst du das?«, wollte Miriam wissen. Elke schüttelte unbehaglich den Kopf. »Nee. Wenn du mich fragst, stimmt mit dem was nicht. Auf gar keinen Fall geh ich allein mit ihm in den Wald.«
    »Dann fragen wir die Jungs, ob sie mitkommen?«
    Elke nagte an ihrer Unterlippe. »Wir sollten sie fragen, ob sie raffen, was Strobel von uns will.«
    »Und was machen wir jetzt?«
    »Na, wir holen uns heimlich unsere Schlittschuhe aus der Laube und gehen zum See. Du weißt doch, dass die Jungs heute dort hin wollten.«
    »Du meinst wohl speziell Andy?« Miriam grinste nun wieder, und Elke streckte ihrer Schwester die Zunge raus. Endlich kam sie dazu, den Handschuh auszuziehen, unter dem sie den bröseligen Zettel versteckt

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