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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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und einige Schaulustige aufsprangen und ebenfalls die Hände emporrissen. Auch Andy und Robert stießen laute Freudenschreie aus. Und doch war es fast so, als spiele sich alles um sie herum in Zeitlupe ab. Sie raste an Wastl und dem gegnerischen Tor vorbei, weiter am Seeufer entlang. Die wirbelnden Schneeflocken vor ihr schienen in dem roten Lichtschein einen Tunnel zu bilden, durch den hindurch sie den Puck wie einen kleinen schwarzen Punkt ausmachen konnte. Noch immer sauste er über die Eisfläche – um schließlich irgendwo weit hinten im Gestrüpp zwischen den Bäumen am Ufer einzuschlagen. Elke jagte ihm nach, als ihre Kufen plötzlich über eine Unebenheit fuhren. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, stürzte sie vornüber und schlug schmerzhaft auf der Eisfläche auf. Mit hoher Geschwindigkeit rutschte sie dem Ufer entgegen. Sterne blitzten hinter Elkes Stirn auf, und als sie wieder zu sich kam, sah sie, dass sie nur wenige Schritte vom Ufer entfernt lag, hinter dem sich ein kleines Wäldchen erstreckte. Zwischen den Bäumen standen zahlreiche Kinder, die sie anstarrten, während weiter hinten auf dem See Andys besorgte Stimme zu hören war. Elke gab ihm rasch ein Zeichen, dass alles in Ordnung sei. Sie wollte die Jugendlichen gerade darum bitten, ihr bei der Suche nach dem Puck zu helfen, doch so sehr sie das Wäldchen auch absuchte, da war niemand mehr. Stattdessen erblickte sie zwischen den Bäumen einen vereisten Bachlauf, der hier in den See einmündete. Elke kannte ihn. Der Wasserlauf floss an Perchtal vorbei und hatte seine Quelle irgendwo in der bewaldeten Bergwelt hinter dem Ort. Wo war der Puck? Elke mühte sich hoch, als es auf dem See knackste. Alarmiert starrte sie die Eisfläche an. Der zugefrorene Untergrund sah aus wie rauchiges Glas, auf dem sich ihr Gesicht spiegelte. Erst auf den zweiten Blick begriff sie, dass das Gesicht vollkommen wächsern war. Die Gestalt unter ihr öffnete plötzlich die tiefschwarzen Augen und formte mit den Lippen Worte. Die Wolkendecke schob sich wieder zu, und es wurde düster.
    Elke schrie hysterisch auf, versuchte fortzukrabbeln und glitt abermals aus. Das da war nicht ihr Spiegelbild. Unter ihr im Eis lag eine Tote.

Mutprobe
    »Das Mädchen sah genau so aus wie ich. Haargenau so. Ich schwöre es euch! Und sie hat … sie hat mich …« Andy hörte Elke schweigend zu, die unvermittelt abbrach und wieder zu schluchzen begann. Sie saß in eine Decke gehüllt auf der Parkbank, während Robert nervös eine Selbstgedrehte qualmte, die er in seiner Handmuschel verborgen hielt. Inzwischen war es längst dunkel im Perchtal. Vom Himmel wirbelten dicke Schneeflocken herab, die die Sicht auf den verschatteten Perchtensee schwierig machten und zu dem Eindruck beitrugen, als spanne sich die kaltschwarze Fläche vor ihnen scheinbar ins Nirgendwo. Sie froren, doch keiner von ihnen war bereit zu gehen. Auch Robert, Niklas und Miriam starrten immer wieder hinüber zum Seeufer, wo Elke die Leiche im Eis entdeckt hatte. Dort war der unruhige Schein von Taschenlampen zu sehen.
    Die freiwillige Feuerwehr aus dem Ort war längst mit Spitzhacken und Schaufeln angerückt und hatte die Stelle mit rotweißen Bändern abgesperrt. Bürgermeister Schober war erschienen, ebenso Doktor Bayer, obwohl der eigentlich Tierarzt war. Von den Männern abgesehen standen ein gutes Dutzend weiterer Schaulustiger auf der Eisfläche, die hergekommen waren, kaum dass sich die Nachricht vom Leichenfund herumgesprochen hatte. Sogar der alte Hoeflinger war unter ihnen und starrte mit seinen halbblinden Augen hinaus auf den See. Konrad und seine Bande, die ebenfalls geblieben waren, rissen gelegentlich geschmacklose Witze. Andreas ignorierte die vier, doch auch er beäugte interessiert die Bergungsarbeiten. Inzwischen konnte man hören, wie drüben an der Fundstelle eine Motorsäge angeworfen wurde.
    »Und du bist dir sicher, dass du dich nicht geirrt hast?«, hub Andreas beruhigend an.
    »Ja, doch!« Elke entzog sich ihm verärgert und wirkte so, als wolle sie etwas hinzufügen. Stattdessen schlang sie die Decke nur noch fester um sich und schniefte. »Die sah aus wie ich. Wenn ich es doch sage.«
    Andreas blickte zu Robert auf, der lediglich mit den Schultern zuckte und seine Zigarette in den Schnee warf. Andreas hatte bereits mit ihm gesprochen. Ebenso wie er selbst hatte auch Robert keine Details unter der Eisfläche ausmachen können. Dafür war es bereits zu dunkel gewesen. Mehr hatte auch Roman Köhler

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