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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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verebbte das Totengeläut. Niklas spürte, wie Andy ihn am Kragen packte und mit sich in Richtung Friedhofsausgang riss.
    »Weg von hier!«, keuchte sein Freund immer wieder. »Bloß weg von hier!«

Asche & Angst
    Elke und Miriam hockten regungslos auf den obersten Treppenstufen vor ihrem Dachzimmer und versuchten das Gespräch unten im Wohnzimmer zu belauschen. Schon seit dem frühen Abend, als Pfarrer Strobel sie zurück in die Brennergasse geführt hatte, benahmen sich ihre Eltern überaus merkwürdig. Zumindest soweit ein solcher Vergleich nach dem Vormittag überhaupt angebracht war. Wie versprochen hatte Strobel die Ereignisse des Nachmittags auf seine Kappe genommen, doch das schien Vater und Mutter nur wenig zu interessieren. Immer wieder wollten sie wissen, was für eine Tote das im See gewesen sei. Doch woher sollte Strobel das wissen?
    Elke und ihre Schwester waren nach einem in bedrückender Stille verrichteten Abendbrot auf ihr Zimmer geschickt worden, danach war ihre Mutter zu ihnen gekommen, um sich zu vergewissern, ob sie sich auch bettfertig gemacht hatten. Und das um acht Uhr abends. Elke und ihre Schwester hatten sich natürlich folgsam gegeben, in Wahrheit aber waren sie viel zu aufgeregt, um zu solch früher Sunde einschlafen zu können. Immer und immer wieder hatten sie die beängstigenden Ereignisse am See durchgesprochen, und Miriam wurde nicht müde, ihr jedes kleinste Detail zu entlocken. Vor allem konnte sie nicht glauben, dass die Tote im Eis Elke angesehen hatte. Doch Elke fühlte, nein, sie wusste, dass sie keiner Sinnestäuschung erlegen war. Nie würde sie diesen furchtbaren Moment vergessen können. Und völlig egal, ob ihr die Jungs nun glaubten oder nicht, das Gesicht der Toten war ihr wie ein unheimliches Spiegelbild erschienen.
    Kurz vor Mitternacht beschlossen sie und Miriam, sich nun wirklich hinzulegen, als es unten an der Haustür schellte. Ungewöhnlicherweise waren ihre Eltern noch auf. Elke vernahm einzelne Gesprächsfetzen, aus denen klar und deutlich die Stimmen von Pfarrer Strobel und Doktor Bayer herauszuhören waren. Ihr war sogleich klar, dass der nächtliche Besuch im Zusammenhang mit der Toten im See stand. Nicht einmal die Androhung eines neuen Rosenkranzgebetes hätte sie und Miriam jetzt noch davon abhalten können, mehr zu erfahren. Leider hatten ihre Eltern den Besuch ins Wohnzimmer geführt, sodass sie beide kaum etwas verstehen konnten. Allein das laute Schluchzen ihrer Mutter ließ Böses erahnen.
    »Mir ist egal, ob sie uns bemerken. Ich gehe jetzt runter«, flüsterte Elke.
    »Bist du sicher? Wenn sie dich entdecken, dann …«
    Elke schnitt ihrer Schwester mit einer raschen Handbewegung das Wort ab und schlich barfüßig die Treppenstufen nach unten. Sie wusste aus jahrelanger Übung, wohin sie treten musste, ohne Geräusche zu verursachen. Unten angelangt, spähte sie um die Ecke in Richtung Wohnzimmer. Die Tür war verschlossen. Immerhin konnte sie die Stimmen nun deutlicher vernehmen.
    »Und Sie sind sich wirklich sicher?«, tönte die Bassstimme ihres Vaters bis zur Stiegentreppe.
    »So weit wir sicher sein können«, erklärte Doktor Bayer mit kummervoller Stimme. »Auch wenn der Zustand Ihrer Tochter absolut rätselhaft bleibt. Nach all den Jahren hätte sie längst verwest sein müssen.«
    Tochter? Elke weitete verblüfft die Augen auf.
    »Aber wir wissen doch gar nicht, was mit ihnen damals geschehen ist«, greinte ihr Vater. »Nach all der langen Zeit ist das die erste Spur, und jetzt kommen Sie und …«
    »Herr Bierbichler, mir ist klar, dass das für Sie ein Schock sein muss. Aber Genaueres können nur die Rechtsmediziner unten in Berchtesgaden klären. Das hier … übersteigt meine Möglichkeiten bei Weitem. Ich bin Tierarzt.«
    »Und wer sagt Ihnen, dass es wirklich Anna ist?«, wandte ihre Mutter ein. »Sie wissen doch um unseren Verlust.«
    »Wir haben an ihrem Handgelenk dieses Schmuckarmband gefunden«, mischte sich Pfarrer Strobl ein.
    Ihre Mutter schrie leise auf und schluchzte.
    Gott, sie und Miriam hatten eine Schwester! Elke zitterte nun so sehr, dass sie sich am Treppengeländer festhalten musste.
    »Wir sollten den See weiter durchkämmen. Wenn Anna da wirklich gelegen hat, dann … oh Gott!« Auch in der Stimme ihres Vaters lag tiefer Schmerz.
    »Der See ist zugefroren, Herr Bierbichler«, antwortete Bayer zögernd. »Sicher, wir können morgen noch einmal einen weiteren Suchtrupp losschicken. Aber Ihnen sollte bewusst sein,

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