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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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niedergebrannten Bootshauses glaubte er hinten am Ufer ausmachen zu können. Wenigstens dieses Mistding hätten sie inzwischen abreißen können. Andreas stieg jäh auf die Bremse, und die Reifen rutschten über den gefrorenen Untergrund. Der Wagen blieb mit tuckerndem Motor stehen, doch Andreas achtete nicht darauf. All diese Erinnerungen …
    Er lehnte die Stirn auf das Lenkrad und wartete, bis sich sein Herzschlag wieder beruhigt hatte. Ihm hätte klar sein müssen, dass seine Rückkehr notwendig war. Zwingend notwendig sogar.
    Erst als es hinter ihm hupte, weil ein LKW mit frisch geschlagenen Baumstämmen vorbei wollte, fuhr Andreas wieder an. Am Ortsrand tauchte nun das alte Sägewerk seines Vaters auf.
    Soweit er sich erinnerte, war es vor neun Jahren verkauft worden. Er hatte davon eher zufällig im Internet erfahren. Was sein Vater heute trieb, wusste er nicht. Es war ihm auch egal, sie hatten eh keinen Kontakt. Und wenn er in sich lauschte, dann fühlte er bloß Verachtung für ihn. Sein Vater war ein Feigling. Ebenso wie seine Mutter – und auch er selbst. Sie waren eine Familie von Feiglingen.
    Andreas passierte mit knirschenden Reifen die erste Häuser Perchtals und starrte hinüber zum Vereinsheim. Auch diesem hatte die Zeit nichts anhaben können. Er fragte sich, ob die Jugendlichen Perchtals gestern wieder einen Krampuslauf veranstaltet hatten? Er hoffte nicht. Andreas bog nun von der Hauptstraße ab und suchte die alte Gasse, in der Robert lebte. Bevor er aufgebrochen war, hatte er sich mittels des Telefonsbuchs schlau gemacht. Robert war der Einzige von ihnen, der heute noch hier lebte. Wer hätte das damals gedacht? Andreas suchte sich dennoch lieber einen Parkplatz in der Nähe des Marktes. Auch hier schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Die alte Kirche mit ihrem schlanken Glockenturm ragte unheilvoll auf dem alten Friedhofshügel auf, und Andreas musste den Impuls unterdrücken, nicht einfach rüberzulaufen, um mit einem Stein die Fenster zu zerschlagen oder das Bauwerk gleich ganz abzufackeln. Stattdessen wandte er sich von dem Kirchenbau ab, ignorierte die neugierigen Blicke, die man ihm, dem vermeintlich Fremden, zuwarf, und machte sich auf den Weg. Er war sich sicher, dass ihn heute kaum einer der Perchtaler mehr erkannte. Und wenn doch, dann würde man wahrscheinlich versuchen, ihn zu ignorieren.
    Ohne es beabsichtigt zu haben, kam er an der alten Bäckerei von Niklas’ Eltern vorbei. Auch diese wirkte fast unverändert, nur dass über dem Geschäft ein neuer Name prangte: ›Bäckerei Scholleren. Andreas fragte sich nicht zum ersten Mal, ob sein Los nicht doch besser als das von Niklas gewesen war.
    Endlich stand er vor der Haustür von Robert. Auch hier war alles so vertraut. Zögernd betätigte er die Hausglocke. Es dauerte nicht lange, und Robert öffnete ihm. Die beiden Männer starrten sich befangen an.
    »Hi Andy«, brach sein alter Kumpel das Schweigen. Robert war schlaksig wie früher, nur trug er heute einen Norwegerpulli über einer ausgeblichenen Jeans. Von seinem Darklook war nichts mehr zu bemerken. Sogar sein Haar musste er nicht mehr scheren. Andreas sah, dass es sich von selbst gelichtet hatte. Er lächelte sparsam.
    »Hi Robert.«
    »Mann, ich fasse es nicht. Bitte, komm doch rein. Ich dachte, du seiest der Postbote. Ich hab erst heute Nachmittag mit dir gerechnet.« Robert trat aus dem Weg und führte ihn ins Wohnzimmer, wo er verlegen eine Flasche Wodka zuschraubte und sie zurück in die Bar stellte.
    »Ist deine Mutter da?«, wollte Andreas wissen und spähte zurück zum Hausflur.
    »Nein, äh, die ist vor einigen Jahren gestorben.«
    »Aha.« Andreas sah, dass auch drüben in der Küche Alkoholika standen. »Dann trinkst du jetzt?«, entfuhr es ihm, und er hätte sich für die unbedachte Äußerung gern sofort auf die Zunge gebissen.
    »Nein, ich … Ja.« Robert sah ihn niedergeschlagen an. »Aber es war schon schlimmer, im Moment habe ich die Trinkerei wieder einigermaßen im Griff. Ich bin eben nicht besser als sie …« Seine Augen brannten. »Enttäuscht?«
    »Nein.« Andreas schüttelte den Kopf. »Die Sache ist an uns allen nicht spurlos vorbeigegangen. Du trinkst, ich bin feige abgehauen. Liegt wohl an unseren Genen.«
    Robert schnaubte verbittert. »Scheiße, Andy. Es tut gut, dich nach all der Zeit zu sehen.« Kurz darauf lagen sich die beiden Freunde in den Armen und klopften sich kumpelhaft auf die Schultern. Verlegen trennten sie sich wieder.
    »Niklas

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