Weisser Schrecken
auch?«
»Glaubst du das wirklich?« Elke rieb sich geistesabwesend die Hände.
Andy zog ihr schweigend die Handschuhe aus und hauchte in ihre klammen Handmuscheln, bis ihre Finger wieder etwas wärmer wurden. »Du musst keine Angst haben. Ich verspreche dir, dass ich dich nicht allein lassen werde. Zur Not wohnt ihr einfach vorübergehend bei mir. Und später ziehen wir das mit der WG durch.«
»Als ob das so einfach wäre.« Elke spürte, wie ihre Augen feucht wurden, und versuchte die Tränen wegzublinzeln. Doch sie schaffte es nicht.
»Du musst nicht immer so tough sein. Nicht bei mir«, flüsterte Andy. Er zog sie an sich und streichelte über ihr Haar. Elke vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, klammerte sich an ihn und ließ ihren Tränen freien Lauf. Es war gut, dass er da war. Seine Nähe war so tröstlich, und sein warmer Atem an ihrem Ohr ließ sie schwindeln. Für einen Moment schaffte sie es sogar, den Grund zu vergessen, warum sie beide hier standen. Sie vergaß völlig die Zeit, doch irgendwann wurde ihr kalt.
»Zitterst du etwa meinetwegen?«, zog sie Andy liebevoll auf.
»Das hättest du wohl gern«, schniefte Elke und wischte sich lächelnd über die Wangen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Andy einen Kuss, bevor sie den Mut dazu verlor. Seine Lippen waren weich und schmeckten nach Tee. Auch er zitterte. Elke war froh, dass er nicht so cool war, wie er tat.
»Komm«, seufzte ihr Freund. »Lass uns weitergehen, sonst erfrieren wir noch. Im Sommer wundern sie sich dann, wer diese beiden knutschenden Eisskulpturen hier auf dem Weg sind.« Elke kicherte und kuschelte sich an ihn, während sie eng umschlungen den Rest des Pfades entlangschlenderten. »Irgendwann werden wir auf unser Erlebnis in diesem Winter zurückblicken«, meinte Andy. »Und dann werden wir über uns selbst lachen.«
»Und wo werden wir dann sein?«, fragte Elke. Sie war froh, dass er versuchte, sie abzulenken.
»Bestimmt nicht hier in Perchtal«, antwortete Andy. »Oder willst du hier versauern?«
»Nee.«
»Sondern?«
»Weiß nicht. Miriam will mal Pharmazie studieren. Apotheken fand sie schon immer toll.«
»Und du?« Elke lächelte verlegen. »Ich werde Kinderärztin.«
»Echt?«
»Ja, das wollte ich schon immer werden«, meinte sie ernst. Schalkhaft fügte sie hinzu: »Und meine Patienten schicke ich dann zu Miriam.« Andy grinste. »Ah ja, und wenn du mal im Urlaub bist, dann führt sie die Praxis und vertickt denen ihre teuersten Medikamente. Merkt ja eh keiner, wie?«
»Wieso, ist doch ein guter Plan.« Miriam musste nun ebenfalls lachen. »Wirst du mal das Sägewerk deines Vaters übernehmen?«
»Nee, ganz sicher nicht. Du weißt doch, ich bin auf meinen Vater nicht so gut zu sprechen. Ich warte noch auf die Erleuchtung.« Sie hatten das Ende des Waldpfades erreicht; die Bäume standen nun nicht mehr so dicht. Elke zögerte, doch dann nahm sie all ihren Mut zusammen und hielt Andy fest, bevor sie gänzlich den Schutz der Bäume verließen.
»Du?«
»Ja?«
Elke zitterte schon wieder. Doch diesmal war die Kälte nicht der Grund. »Ich mag dich wirklich gern.« Ihre Stimme war nur ein Hauch. Sie schloss die Augen, als Andy sie unsicher zu sich heranzog und küsste.
Andreas musste sich bei einigen Passanten durchfragen, bis er herausfand, wo der alte Hoeflinger genau wohnte. Elke, die die ganze Zeit über nicht von seiner Seite wich, lächelte ihn verliebt an, wenn keiner hinsah. Auch er spürte eine Aufregung in sich, die ihn immer wieder wie blöde grinsen ließ. Am liebsten hätte er Elke geschnappt und wäre mit ihr nach Hause zum Sägewerk gelaufen, um sie dort weiter zu küssen. Leider ging das nicht.
Dann, endlich, hatten sie das Haus des alten Hoeflingers erreicht. Er lebte gar nicht mal weit weg vom Vereinsheim. Das gelb gestrichene Gebäude lag in einer tief verschneiten Gasse. Von den Dachtraufen stachen lange, spitze Eiszapfen in die Tiefe. Um den Zugang zu erreichen, mussten sie einen Innenhof betreten, der zur Straße hin von einem hohen Bretterzaun abgeschirmt wurde. Inzwischen wussten sie auch, dass der Alte von seiner Tochter gepflegt wurde. Andreas und Elke kannten sie, ohne bislang zu wissen, dass die beiden in verwandtschaftlicher Beziehung zueinander standen. Hoeflingers Tochter arbeitete als Kassiererin im Lebensmittelgeschäft von Liesls Eltern und war als ziemlich herrschsüchtige Person bekannt. Andy hoffte, dass sie nicht misstrauisch wurde, wenn sie plötzlich vor
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