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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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krakeligen Schrift. Leider waren die Buchstaben kaum zu entziffern. Andreas wollte schon rufen, als aus einem der Zimmer der alte Hoeflinger in den Flur schlurfte. Er trug eine graue Strickjacke, war über einen Gehstock gebeugt, und sein Gang war schleppend. Sein schlohweißes Haar hing ihm wie in Rinnsalen vom Schädel, und Andreas sah an der Art und Weise, wie der Alte die Augen zusammenkniff, dass er bereits den Großteil seiner Sehkraft eingebüßt hatte.
    »Seid ihr diese Jugendlichen aus dem Ort?«, krächzte er.
    »Ja, wir sind gekommen, um Sie zu besuchen«, antwortete Elke freundlich.
    »Besuch?« Der alte Hoeflinger kicherte. »Mich hat schon lange keiner mehr besucht. Bringt ihr mir was? Meine Brille? Die hab ich letzten Monat verloren. Oder ist das schon länger her?« Er grübelte, winkte dann aber ab, als im Zimmer gegenüber ein pfeifender Wasserkessel anschlug. »Ich mache mir jetzt einen Kaffee. Wenn ihr wollt, könnt ihr auch eine Tasse Tee haben.« Andreas und Elke wechselten irritierte Blicke.
    »Sehr gern«, antwortete Elke.
    Sie querten den Flur und konnten kurz einen Blick auf die übrigen Räume erhaschen. Dort sah es nicht viel anders aus als im Gang. Mit den vielen Kartons, den offenen Schränken und den mit Gerümpel zugestellten Tischen ähnelten die Zimmer eher den Lagerräumen eines Fundbüros denn einer üblichen Wohnung. Auch hier roch es leicht muffig. Andreas konnte die Tochter des Mannes langsam verstehen. Und doch schienen die zugestellten Zimmer des Obergeschosses von einer geheimnisvollen Ordnung erfüllt zu sein.
    »Sie, äh, sind ein Sammler?«, hub Andreas vorsichtig an, während sie dem Alten in die Küche folgten. Diese war als einzige aufgeräumt. Der alte Hoeflinger stellte den Wasserkessel aus, nahm drei Gläser aus einem Wandschrank und schenkte Milch aus einem Krug ein, in die er Zucker und ein braunes Pulver unterrührte.
    »So, euer Kakao, Kinder.« Mit zitternden Händen reichte er ihnen die Gläser. Andreas und Elke sahen irritiert zum Wasserkessel hinüber. »Danke.«
    »Lasst uns rüber ins Wohnzimmer gehen.« Der Alte griff wieder nach seinem Stock. »Hier in der Küche ist es deswegen so ungastlich, weil mir meine Tochter alle paar Monate jemanden vom Sozialdienst auf den Hals hetzt, der überprüfen soll, ob ich mir die Bude über dem Kopf abfackele.« Er kicherte. »Aber bis jetzt habe ich alle Untersuchungen gut überstanden. Sagt, wenn ihr noch mehr Limonade haben wollt.«
    »Schon gut, wir sind bestens versorgt.« Andreas unterdrückte ein Grinsen und folgte Elke und dem alten Hoeflinger hinüber ins Wohnzimmer, wo sie mehrere mit Zeitschriften gefüllte Stofftüten von einer Sitzgarnitur räumen mussten, um sich setzen zu können. Auch hier stapelten sich über und über Dinge, die der Greis vermeintlich dem Sperrmüll abgetrotzt hatte; darunter befanden sich alte Faschingsmasken, löchrige Kleidungsstücke, eine Sammlung verbeulter Sportpokale und eine Kiste mit alten Musikkassetten.
    »Ich hab schon lange keinen Besuch mehr empfangen«, ächzte der Alte, nachdem er sich auf einem einfachen Holzstuhl niedergelassen hatte, den Gehstock vor sich aufgestützt. »Wie alt seid ihr denn?«, krächzte er. »Leider kann ich nicht mehr so gut sehen. Grauer Star.«
    »Wir sind beide fünfzehn Jahre alt«, sprach Elke und nippte an ihrem Kakao. Sofort verzog sie das Gesicht. »Ich glaube, Sie haben Zucker mit Salz verwechselt.«
    »Pssst!« Der alte Hoeflinger legte verschwörerisch den Finger an die Lippen und flüsterte, während er misstrauisch in Richtung Wohnzimmertür starrte. »Dafür ist meine missratene Tochter verantwortlich. Die tauscht hier gern mal was aus oder lässt Sachen verschwinden, damit der Sozialdienst denkt, ich ticke nicht mehr richtig. Oder damit ich selbst denke, dass ich nicht mehr ganz auf der Höhe bin. Die will nicht nur das Haus für sich, die will noch viel mehr …« Er lachte unheilvoll. »Einfach so tun, als wäre nichts. Gut möglich, dass die uns beobachten.« Mit einem Zug leerte er die versalzene Brühe in dem Glas in seiner Hand. Andreas wechselte abermals einen Blick mit seiner Freundin. »Sie sind also Sammler?«, wiederholte er seine Frage.
    »Seid ihr Spitzel, Bub?« Der Alte kniff misstrauisch die Augen zusammen, um sie beide besser sehen zu können. Offenbar mit nur wenig Erfolg. »Schickt euch jemand, um mich auszuhorchen?«
    »Nein, wie kommen Sie darauf?«
    »Was wollt ihr dann hier?«
    »Wir sind hier«, sagte Elke

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