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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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Frau Neuleitner stand nun mit gleich zwei Kugelschreibern bewaffnet wieder vor ihm.
    »Ach, wissen Sie«, Niklas spürte, wie sein Kopf vor Aufregung glühte, »ich komm einfach später noch mal vorbei. Dann habe ich auch mehr Zeit.«
    »Ist schon recht«, meinte die Dicke etwas enttäuscht. Niklas legte das falsche Buch in den Schrank zurück und versuchte sich an einem Lächeln. »Danke noch einmal. Bis morgen dann.«
    »Wie gesagt, da bin ich nicht hier, sondern …« Ohne der Frau weiter zuzuhören, stürmte Niklas die Treppe hinunter und setzte sich grußlos aus dem Vereinsheim ab. Draußen war es dunkel und es schneite. Ein kalter Wind blies ihm ins Gesicht. Doch Niklas spürte die Kälte kaum, so stolz war er auf sich. Die anderen würden Augen machen. Elke würde sich beim nächsten Mal bestimmt gut überlegen, wen sie begleitete.
    Als er die Straße mit der Bäckerei erreicht hatte, spähte er als Erstes durch das Schaufenster. Seine Mutter stand hinter dem Tresen und bediente eine Kundin. Doch es war bereits Viertel nach fünf. In einer knappen Stunde würde sie schließen und Abendbrot machen. Wo sein Vater war, wusste er nicht. Es war ihm im Moment auch egal. In Windeseile lief er nach Hause auf die andere Straßenseite, warf Jacke und Mütze in den Hausflur und zog sich mit dem Ranzen auf sein Zimmer zurück. Aufgeregt nahm er das Buch aus dem Vereinsheim hervor, legte es feierlich auf seinen Schreibtisch und klappte es auf. Was immer Andys Bruder daran interessant gefunden hatte, er würde es herausfinden. Wenn nur diese dämliche Frakturschrift nicht wäre. Niklas las sich langsam ein und bekam nur am Rande mit, wie seine Mutter zurückkehrte. Der Inhalt des Buches war faszinierend und unheimlich zugleich. Bis zu diesem Tag hatte er nicht einmal ansatzweise gewusst, wie reich die Alpen an lokalen Brauchtümern, Sagen und Mythen waren. Gerade tönte von drüben aus der Küche der Ruf, zum Abendbrot zu kommen, als Niklas auf einen Abschnitt mit einem lateinischen Begriff stieß, der ihn innerlich aufhorchen ließ: Ludus episcopi puerorum. Er musste den Ausdruck nicht selbst übersetzen. Die Bedeutung stand im Text daneben: Kinderbischof!

Der alte Hoeflinger
    »Die Idee ist auch nicht abgefahrener als die mit eurer Seance«, hörte Elke Andy sagen. Doch sie lauschte nur auf den beruhigenden Klang seiner Stimme und genoss seine Anwesenheit. Gedanklich war sie woanders. Seite an Seite schlenderten sie einen schneebedeckten Waldpfad entlang, der Perchtal einmal halb umrundete. Der Weg wurde von einer Allee verschneiter Kiefern gesäumt, während linker Hand die schiefwinkligen Häuser Perchtals zum bleigrauen Wolkenhimmel aufragten. Die Dächer sahen aus wie weiße Pilzkappen, und der See war angesichts des Schneefalls gar nicht mehr zu erkennen. Es war das erste Mal seit Freitag, dass sie beide wieder allein waren. Niklas war in Richtung Vereinsheim aufgebrochen, und Miriam suchte jetzt gemeinsam mit Robert in dessen Wohnung all die Dinge zusammen, die sie heute Nacht beim Gläserrücken benötigten. Andy hatte sie an die Hand genommen, kaum dass die anderen außer Sichtweite waren. Ohne dass sie beide es abgesprochen hätten, hatten sie den kleinen Umweg eingeschlagen, um eine Weile für sich zu sein.
    Insgeheim war Elke bei dem Gedanken an das, was sie heute Abend vorhatten, ziemlich mulmig zumute. Doch ihr Stolz ließ nicht zu, dass sie es einem ihrer Freunde eingestand. Vorhin, als sie mit Miriam den Plan zu dieser Seance ausgeheckt hatte, hatte das alles noch wie ein Spiel geklungen. Doch inzwischen war es das nicht mehr. Hinzu kam die Sache mit ihren Eltern, die sie ebenfalls mehr verängstigte, als sie zuzugeben bereit war. Sie fühlte sich verraten, verlassen und leer. Dabei hoffte sie noch immer, dass sich am Ende die Rätsel der vergangenen 24 Stunden in Wohlgefallen auflösen würden. Sie würde ihrem Vater zuliebe sogar mehr beten. Doch ihre innere Stimme sagte ihr, dass damals etwas Schlimmes passiert sein musste. Egal, was ihnen ihre Eltern verheimlichten, nichts würde mehr so sein wie all die Jahre zuvor. Wollte sie überhaupt erfahren, was 1978 passiert war?
    »Was soll nur aus mir und Miriam werden, wenn Vater und Mutter tatsächlich in die Sache mit Anna und Gretl verstrickt sind? Was, wenn sie verhaftet werden?«, fragte sie unwillkürlich. »Stecken sie uns dann in ein Heim?«
    Andy blieb stehen und sah sie an. »Warte doch erst einmal ab. Vielleicht täuschen wir uns ja

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