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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Evans
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geschlafen hatte. Dann saß er am frühen Abend mit leerem Kopf da und starrte auf das Papier  – keine Musik, kein antreibender Rhythmus, nur die Zuckungen eines öden Gehirns. Er hatte stundenlang wach gelegen und wieder an Theodore Ryder gedacht.
    Ob er mehr hätte tun können. Ob er ihn in seinem Zimmer hätte aufsuchen sollen. Ob er nach der ersten Hausversammlung länger hätte bleiben müssen, statt sich davonzustehlen wie eine Kakerlake  – hätte er dann die Blässe im Gesicht des Jungen gesehen und gesagt: Ryder, ich denke, du solltest in die Krankenstation gehen …?
    Er erinnerte sich an das große Elend der Familie. Die niedergeschlagenen Gesichter. Die Hoffnungslosigkeit. Das blonde Familienoberhaupt, das so großzügig war, zu äußern: Natürlich war es nicht Ihre Schuld. Dieses »natürlich«war ein Tiefschlag. Wenn Tommy Ryder nur wüsste, in welches Unglück seine Wortwahl Fawkes gestürzt hatte.
    Und so griff er immer wieder zum Gin: nach dem Schreiben am Morgen, um sein inneres Gleichgewicht wiederzugewinnen; um drei, um für den Vier-Uhr-Unterricht gewappnet zu sein; um halb sechs und danach, um sich zu betäuben und Schlaf zu finden.
    Aber es wirkte nie. Er schlief nicht.
    Jetzt knabberte er sich den Nagel so weit ab, bis Blut kam.
    Er musste das Stück fertigbekommen.
    Am Tag zuvor hatte er seine Verlegerin angerufen und ihr den Eindruck von Gesundheit und Zuversicht vermittelt. Er hatte sogar gegrinst und gehofft, sie könne sein Lächeln hören.
    Tomasina, hier ist Piers Fawkes.
    Piers Fawkes! Er merkte, dass sie mit anderem beschäftigt war, und ahnte, dass sie ihre Aufmerksamkeit weg von einer E-Mail aufs Telefon lenkte und im Geiste seine Datei öffnete. Ihr italienischer Akzent war deutlich, als sie eine passende Redewendung wählte, um ihn zu begrüßen. Das ist ein Ruf aus der Vergangenheit!
    ( Miststück . So lange war es auch nicht her.)
    Er hatte ihr das ganze Byron-Projekt erläutert  – das Stück, seine eigene Geschichte über das Lehren in Harrow, und dass es ihm einen außerordentlichen Einblick in die Materie erlaubte. Und ein Theaterstück, sagte er mit dem erfolglosen Bemühen, die Verzweiflung aus seinem Tonfall zu verdammen. Ich denke, es wäre ein aufregendes Projekt für eine Veröffentlichung.
    ( Du übertreibst, ermahnte er sich. Seit wann nennst duPoesie »Projekte« … oder bezeichnest etwas anderes als den Gin als »aufregend«? )
    Ein Drama, wissen Sie, ist etwas anderes, fuhr er fort. Eine Art Comeback. Wie Auden und Isherwood. Nur kein Isherwood.
    Ich wusste nicht, dass Auden je ein Comeback brauchte, erwiderte sie sachlich.
    ( Doppeltes Miststück , verfluchte er sie.)
    Sie legten auf, ohne dass er die Zusage erhielt, dass sie das Byron-Stück publizierte – sie versprach nicht einmal, dass sie es lesen würde. Sie hatte in der Art der Verlagsleute ihre Weigerung in Watte gepackt und ihn feinfühlig abgewimmelt. Und sie war feinfühlig . Für ihre Verhältnisse. Tomasina –  eine langbeinige, olivenhäutige Oxford-Absolventin, immer in einem schlichten Kleid, das ihre Beine zur Geltung brachte und fünfhundert Pfund kostete – saß hinter ihrem überladenen Schreibtisch; sie hatte einen reichen Ehemann, einen Privatbanker-Typ, der grüne Projekte unterstützte und Tomasinas schlecht dotierte Verleger-Karriere finanzierte. Sie war früher für Fawkes eine Rettungsleine gewesen. Sie hatte seine letzten beiden Gedichtsammlungen herausgebracht und ihn behandelt, als wäre er bedeutend, nachdem alle anderen das Interesse an ihm verloren hatten. Aber jetzt … sie hatte seinem Redeschwall mit halbem Ohr zugehört. Fawkes verdrängte die Panik. Er würde trinken und sich etwas einfallen lassen. Er würde das Stück zu Ende bringen und Tomasina zeigen, wie gut er war. Oder einen anderen Verleger finden. Was wusste sie schon von Poesie? Banausin.
    »Hi.«
    Er zuckte zusammen. Ein Junge stand auf seiner Veranda.
    »Hallo, Andrew«, erwiderte er mit erzwungener Fröhlichkeit. »Wartest du auf mich?«
    »Ja, Sir«, murmelte er.
    »Erspar mir heute das ›Sir‹.« Fawkes seufzte.
    »Tut mir leid, Sir. Ich meine – tut mir leid.«
    Der Amerikaner umklammerte seine Schulbücher. Seine übliche Sicherheit war einer gewissen Nervosität gewichen.
    »Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Fawkes. »Du siehst so aus, wie ich mich fühle.«
    »Ich würde gern drinnen mit Ihnen sprechen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    St. John Tooley stürmte durch das Tor an der

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