Weißer Teufel
die Alarmanlage ein (ein Zugeständnis an das Leben allein), dann durchquerte sie im Dunkeln den Raum und knipste eine Lampe an, um sich die Nachricht anzuhören. Es war Fawkes. Er klang betrunken und aufgeregt. Sie lächelte. Jeder brauchte einen Fawkes. EineQuelle an sprudelnden Ideen. Oder war er eher eine überlaufende Badewanne, die das Haus zu überschwemmen drohte? In letzter Zeit hatte sie zu seinem üblichen Narzissmus einen unkontrollierbaren Wankelmut an ihm entdeckt, und das bereitete ihr Sorgen. Seine heutige Nachricht war wirrer als sonst. Könnten Sie uns noch einmal helfen?, fragte Fawkes. Sie hatten einen verborgenen Raum im Lot gefunden; wusste sie etwas darüber? Er vermutete eine Verbindung zu Byrons Zeiten und glaubte, auf ein bizarres Element gestoßen zu sein. Das waren seine Worte: bizarres Element . Dr. Kahn runzelte die Stirn. Fawkes’ Stimme war heiser. Als versuchte er, komisch zu sein, um etwas, was ihn verstörte, zu kaschieren. Dr. Kahn nahm den Hörer, um Fawkes zurückzurufen.
Ihre Finger berührten nie die Tasten. Ihre Sinne bebten – sie spürte die Anwesenheit einer anderen Person im Haus. Ob sie ein kaum wahrnehmbares Geräusch aufmerksam gemacht hatte, konnte sie nicht sagen, aber sie wusste es sofort. Sie zwang sich zur Ruhe und ging zum Kamin. Ihre Hand umschloss den schweren Feuerhaken, und sie hielt ihn vor sich wie ein Bajonett. Ihre Strategie war nicht gerade raffiniert – was sollte sie tun, wenn sie den Eindringling in die Ecke getrieben hatte? –, aber sie war verängstigt, neugierig und aufgebracht. Wie konnte er die Alarmanlage umgehen? Was, um alles in der Welt, wollte man hier stehlen? Bücher? Dr. Kahn schlich in den Flur.
»Hallo«, schrie sie. Ihre Stimme klang schwach. Das kannst du besser, sagte sie sich.
Bewies es jedoch nicht. Ihre Sinne waren jetzt noch wacher. Etwas war anders als sonst: Sie hatte das Gefühl, als würde sich eine drückende Wolke über sie senken. DasAtmen fiel ihr schwer. Ihre Bewegungen wurden langsamer, als ob Gewichte an ihren Gliedern hingen. Sogar ihr Verstand war träge.
Sie wagte sich weiter. Nur eine Lampe brannte im Wohnzimmer, am Ende des Flurs war es düster. Die Tür zu ihrem Schlafzimmer stand halboffen. So hatte sie sie nicht hinterlassen, dessen war sie sicher. Es schien, als hätte der Eindringling die Tür nur so weit zugezogen, dass er sich dahinter verstecken konnte.
Dr. Kahn spürte eine Präsenz.
Jemand lauerte hinter dieser Tür. Dann hörte sie es. Ein unregelmäßiges Schnaufen, ein Röcheln. Gänsehaut überzog ihre Arme und den Nacken. Sie war wie erstarrt und verlor fast die Nerven. War es ein Tier? Hatte sie eine Bestie gestellt? Sie vernahm ein scharfes Einatmen – ein menschlicher Laut, aber scheußlich abgehackt. Dieses Geräusch kannte sie. Es war das tiefe Durchatmen, bevor man etwas Unangenehmes anging oder sagte. Oder bevor man die alte Dame, die man beraubt, erschlägt. Sie sah vier kleine weiße Kreise am Rand der Tür. Was war das? Ihr Herz setzte einen Schlag aus, ehe sie begriff. Fingerkuppen. Sie fühlte etwas an ihren Füßen und schaute hinunter. Jetzt schrie sie.
Ratten drängten sich um ihre Füße. Schmierige, wimmelnde Ratten. Dutzende in ihrem Korridor. Eine stellte sich auf die Hinterbeine und starrte sie mit glühenden Augen an. Dann bemerkte sie eine rasche Bewegung hinter sich und erkannte ihren Fehler.
Sie hatte der Schlafzimmertür den Rücken zugekehrt.
Sie wusste nicht, wie lange sie dagelegen hatte, doch sie kam zu sich, als das Telefon klingelte. Es klingelte undklingelte. Sie machte eine Bestandsaufnahme. Tastete ihren Kopf ab – keine Verletzungen. Keine Spur von Ratten im Flur. Und sonst war auch niemand da. Ihre Schlafzimmertür war weit offen, so wie sie am Morgen gewesen war. Der Feuerhaken stand neben dem Kamin. Den größten Schock bekam sie allerdings, als sie die Worte hörte, die aus dem Anrufbeantworter klangen.
Judy, hier ist Piers. Hören Sie, wir haben eine Entdeckung im Lot gemacht. Einen Raum, eine Art Zisterne, die zugemauert war. Könnten Sie uns noch einmal helfen? Wir wollen mehr darüber erfahren. Alles, was damit zusammenhängt. Ich vermute, es hat etwas mit Byron zu tun. Wir sind auf ein … bizarres Element gestoßen. Mehr darüber, wenn wir miteinander sprechen können.
Piers Fawkes hinterließ die Nachricht, die sie bereits abgehört hatte, als sie ins Haus gekommen war.
Sie kämpfte sich auf die Füße. Ihr war zumute, als wäre
Weitere Kostenlose Bücher