Weißer Teufel
nicht mehr; Persephone und ihre Welt berauschten ihn nur noch ein bisschen mehr.) Die Neuankömmlinge zogen sich Hocker heran. Vivek entdeckte sofort den Metzger und schaute ihm bewundernd zu; Agatha musterte Andrew und wechselte bedeutungsvolle Blicke mit Persephone – die beste Freundin, die viel von ihm gehört hatte und vor Neugier starb. (Andrew war froh, dass er seine neuen Klamotten anbehalten hatte; die Khakis lagen zusammengefaltet in einer Einkaufstüte zu seinen Füßen.) Normalerweise wäre es für Andrew bedrohlich, wenn ein unbekanntes Pärchen bei einer Verabredung mit einemMädchen auftauchte, doch die Nahrungszufuhr und das Londoner Treiben hatten ihn in Hochstimmung versetzt.
Vivek bat den stämmigen Mann hinter der Bar um vier Plastikbecher. »Ich bin dran, wenn sie mich erwischen«, sagte er zu Andrew. »Achtzig Peitschenhiebe. Sie sind Moslems, falls dir das noch nicht aufgefallen ist.« Vivek fasste in die Plastiktüte und öffnete geschickt und fast geräuschlos eine gekühlte Champagnerflasche.
Vivek goss den goldenen, spritzigen Champagner in die Plastikbecher, und die vier prosteten sich zu. Der Barmann funkelte sie böse an, schritt aber nicht ein.
»Also«, begann Vivek, »die Mädchen haben mir erzählt, dass du den Lot-Geist siehst.«
Andrew wandte sich an Persephone. Ihre katzenhaften Augen glitzerten – sie war stolz, dass sie ihre Überraschung bis jetzt geheim gehalten hatte. Andrew hingegen verdarb die Erinnerung daran, was ihn in Harrow erwartete, die Laune.
»Du warst in Harrow ?«, fragte Andrew.
Vivek nickte. »Ich hab im Lot gewohnt und ihn auch gesehen.«
»Ist das dein Ernst?« Andrew richtete sich auf.
»Im zweiten Jahr ließen sich meine Eltern scheiden«, erklärte Vivek. »Mein Bruder – er war in der fünften Klasse – und ich kamen nicht gut miteinander aus. Die anderen haben mir das Leben schwergemacht. Ich fühlte mich elend und allein, und alles war doppelt schlimm, weil ich gar niemanden hatte.« Er erzählte das mit einer Art sachlicher Unbekümmertheit. Andrew bemerkte, dass Vivek ein maßgeschneidertes Jackett aus vielfädiger Seide trug, und fragte sich, wie der Hintergrund dieses indischen Gentleman sein mochte, dessen Leben so mannigfaltigund reich war, dass er Familientragödien auf bloße Anekdoten reduzieren konnte, während er Champagner in einem nordafrikanischen Hühnchenrestaurant schlürfte. »Mein Zufluchtsort war das Bad. Aha! Ich sehe dir an, dass ich auf der richtigen Spur bin.«
Agatha und Persephone schauten von einem jungen Mann zum anderen und erfreuten sich an diesem Mysterium.
Vivek füllte ihre Becher auf und fuhr fort: »Damals war ich noch dünner als heute, musste aber im Rugby-Team des Lot mitspielen. Einmal ging ich vom Spielfeld, nachdem ich fast zerquetscht worden war. Ich war wütend und lief ins Lot. Du verstehst – zur Hölle mit diesen Engländern und ihrem blöden Spiel. Ich hatte vor, gegen eine Regel zu verstoßen und mir ein heißes Bad im Badezimmer des Präfekten zu gönnen.« Er lächelte und zog die Augenbrauen hoch, um zu betonen, was für ein Tabu das war. »Ich ließ Wasser in die Wanne. Dampf stieg auf. Ich konnte es kaum erwarten, meine schmerzenden Glieder einzutauchen. Aber als ich das Handtuch, das ich um die Hüften geschlungen hatte, abnahm, sah ich ein Gesicht im Wasser.«
Die Mädchen erschauderten theatralisch.
»Ich machte einen Satz zurück, als hätte ich einen Stromschlag abbekommen«, sagte Vivek lachend. »Es war einfach da . Es war nicht richtig im Wasser, sondern an der Oberfläche, als wäre die Badewanne ein Fenster, und die Augen sahen mich direkt an. Ich rannte nackt in mein Zimmer. Ich hatte schreckliche Angst.«
»Wie hat das Gesicht ausgesehen?«, wollte Andrew wissen.
Vivek wollte antworten, besann sich aber eines anderen.»Nein, das solltest du mir sagen. Und bevor du anfängst, gib mir ein Stück Papier.« Persephone reichte ihm einen Kassenzettel und einen Stift. Vivek begann auf die Rückseite zu kritzeln und schirmte sein Werk mit der Hand ab. Dann faltete er den Zettel zusammen und steckte ihn in die Tasche. »Ich habe gerade gemalt, was ich gesehen habe. Und jetzt erzähl, was du gesehen hast.«
»Er hat weißes Haar«, begann Andrew – seine Stimme klang selbst in den eigenen Ohren plötzlich dünn. »Eingefallene Wangen. Tiefliegende blaue Augen. Ein fleckiges Gesicht – so was wie einen Ausschlag.«
Vivek runzelte die Stirn.
»Das ist unheimlich,
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