Weisses Gold
Gibraltar. Dies war das bevorzugte Jagdgebiet der Korsaren aus Salé, Algier, Tunis und Tripolis, die in kleinen Buchten auf Beute lauerten und zuschlugen, wenn ein Schiff so nahe war, dass es nicht mehr entkommen konnte. Doch an diesem Tag war von den Korsaren weit und breit nichts zu sehen, und die
Francis
passierte die Meerenge ohne Schwierigkeiten. Das Schiff segelte in nordöstlicher Richtung weiter und traf unversehrt in Genua ein, wo die Sardinenladung rasch verkauft war. Mit dem Erlös kaufte Pellow Waren, die im West Country einen guten Preis erzielen würden.
Als die
Francis
wieder in See stach, begannen die Männer, sich auf die Heimkehr zu freuen. Sie hatten nicht den geringsten Hinweis auf das Unheil, das sich im Hafen von Salé zusammenbraute: Die Korsaren waren schon seit mehreren Monaten damit beschäftigt, ihre Schiffe für neue Raubzüge auf See auszurüsten.
Unter den Piraten war der gefürchtete Kapitän Ali Hakem. Wie seine Spießgesellen hatte er Angriffe auf englische Schiffe unterlassen müssen, nachdem Mulai Ismail den Friedensvertrag mit Königin Anna unterzeichnet hatte. Ali Hakem hatte weiterhin Jagd auf Europäer gemacht, aber er hatte sich auf spanische, portugiesische und französische Schiffe beschränkt. Die Korsaren wussten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der Sultan den Vertrag mit den Engländern zerreißen und englische Schiffe wieder legitime Ziele ihrer Angriffe sein würden.
Dass der Sultan seine Meinung geändert hatte, erfuhr Kapitän Hakem vermutlich von Abderrahman el-Mediuni, dem Admiral von Salé, der nominell der Oberbefehlshaber der Korsaren war. Die Nachricht von der Aufkündigung des Friedens löste im Hafen von Salé hektische Aktivitäten aus. Die Korsaren begannen sofort mit den nötigen Vorbereitungen,um in See stechen zu können. Es gab viel zu tun: Man musste eine Mannschaft anwerben, die Geschütze reinigen und instand setzen, Proviant beschaffen und das Schiff seeklar machen. Der bevorzugte Schiffstyp der Korsaren von Salé war die Schebecke, ein kleiner, extrem schneller Dreimaster, der mit Lateinersegeln bestückt war. Kapitän Hakem und seine Leute wussten, dass es von ihrer Schnelligkeit und vom Überraschungsmoment abhing, ob sie Beute machen würden. Also fetteten sie den Rumpf ihres Schiffes sorgfältig ein, damit es wie ein Fisch durch das Wasser glitt.
Bevor ein Schiff auslaufen konnte, mussten auch religiöse Rituale zelebriert werden. An dieser sonderbaren Mischung von Aberglaube und Überlieferung hielten die Korsaren seit so langer Zeit fest, dass die Bräuche fest in der Tradition verankert waren. »Der
rais
[Kapitän] vergisst nie, einen berühmten Marabut aufzusuchen«, schrieb Vater Pierre Dan im Jahr 1637, »um ihn zu seinen Vorhaben zu befragen und zu bitten, das Schiff in seine Gebete einzuschließen.« Als Gegenleistung für die Ratschläge erhielt der Marabut eine Spende. Anschließend übergab der heilige Mann dem Kapitän ein Schaf, das später auf See geopfert wurde.
Kapitän Pellow und seine Männer ahnten nichts von dem Schrecken, der ihnen bevorstand. Ihre Reise war bis dahin gut, ja sogar besser als erhofft verlaufen, und nun hegten sie ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Ohne die geringsten Schwierigkeiten durchquerten sie den heimtückischen Golf von Biscaya, und ihre Stimmung wurde noch besser, als sie am Horizont ein anderes britisches Schiff sichteten. Die
Francis
ließ sich auf eine vergnügliche Regatta ein, und es herrschte eine ausgelassene Stimmung, als die beiden Schiffe gleichauf lagen. Die
George
, die in Genua eine große Ladung Öl an Bord genommen hatte, gehörte Kapitän Robert Fowler aus Topsham. Ihre fünfköpfige Besatzung freute sich ebenfalls auf die Heimkehr. Als die beiden Schiffe das schroffe Kap Finisterre (in der Bretagne) passierten, feierten die Mannschaften ihre glückliche Überfahrt: »Die Ladung gelöscht und neue aufgenommen«, schrieb Thomas Pellow ins Logbuch, »und mit Gottes Segen auf dem Heimweg.«
Kapitän Ali Hakem war gemeinsam mit Admiral el-Mediuni in See gestochen. Die beiden niedrigen Korsarenschiffe, die für die englischen Schiffe noch nicht zu sehen waren, beobachteten ihre Beute seit mehreren Stunden.Sie wussten, dass die Überraschung ihre beste Waffe war, und sie verfolgten die Bewegungen der
Francis
und der
George
einige Zeit.
Der Brauch wollte es, dass in den Stunden der Anspannung, die dem Angriff vorausgingen, das Schaf geschlachtet wurde, das der
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