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Weisses Gold

Weisses Gold

Titel: Weisses Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Milton
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verängstigten Juden baten ihn um acht Tage Bedenkzeit. Mulai Ismail gewährte ihnen die Bitte und schickte sie fort. Als sie in der folgenden Woche zurückkehrten, teilten sie ihm gelassen mit, dass ihr Messias in 30 Jahren erscheinen werde. Mit finsterem Gesichtsausdruck erwiderte Mulai Ismail, diese Antwort hätten sie in dem Wissen gegeben, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr leben werde. »Ich werde eure Täuschung erwidern«, sagte er. »Ich werde länger als notwendig leben, um euren Betrug zu entlarven.« Er hätte die Juden wahrscheinlich wegen ihrer Frechheit hinrichten lassen, wären sie nicht vorausschauend genug gewesen, ihm einen großen Sack voll Gold mitzubringen.
    Während wenige reiche Juden bereit waren, Mulai Ismails Machterhaltung zu unterstützen – und im Gegenzug einigermaßen gut behandelt wurden – lebte die Mehrheit in Armut und wurde unterdrückt. Die meisten Juden waren in Ghettos eingesperrt, die in Marokko als
mellahs
, als »Orte aus Salz« bezeichnet wurden, da die jüdischen Schlachter gezwungen wurden, die Köpfe von Aufständischen und Verrätern zu pökeln. Sie mussten schwarze Kleidung und Hauben tragen und sich auf den schmutzigen Straßen von Meknes, Fes und Marrakesch barfuß bewegen. Viele von ihnen wurden kaum besser behandelt als die Sklaven des Sultans und waren ständig Misshandlungen und gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt. »Sie können sich auf den Straßen nicht bewegen, ohne dass der gemeinste Junge sie beleidigen und mit Steinen bewerfen wird«, berichtete ein Zeitzeuge, »aber da ihnen die Todesstrafe droht,wagen sie nicht, ihr Recht zu beanspruchen oder den geringsten Widerstand zu leisten.«
    Die einzige Kontrolle über Mulai Ismails unbeschränkte Herrschaft wurde von einer Person ausgeübt, von der das wohl niemand erwartet hätte. Die erste Frau des Sultans, Lala Sidana, übte beträchtlichen Einfluss auf ihn aus und schaffte es immer wieder, ihren Willen durchzusetzen. Sie war offenbar eine wahre Xanthippe, »schwarz und von monströser Größe und Körpermasse«, wie Pater Busnot im Jahr 1714 berichtete. Sie hatte glänzende Augen und einen gewaltigen Bauch und war früher einmal eine Sklavin des Bruders ihres Mannes gewesen, der sie für 60 Dukaten an Mulai Ismail verkauft hatte. Der Grund für seine Ergebenheit dieser Frau gegenüber ist ein Geheimnis geblieben. Viele bei Hof hielten Lala Sidana für eine Hexe, die sich die Zuneigung des Sultans durch Zauberei sicherte. Sie war eine unbarmherzige Herrscherin über den Harem – darin ähnelte ihre Rolle der, die Madame de Pompadour in Versailles spielte – und sorgte dafür, dass ihr geliebter Sultan stets mit jungfräulichen Mädchen versorgt wurde. Aber anders als ihr französisches Gegenstück besaß Sidana weder Anmut noch Charme. »Wenn sie ausgeht«, schrieb Simon Ockley, »trägt sie ein Schwert im Gürtel und eine Lanze in der Hand, und sie ist grausam und herrschsüchtig wie der König selbst.«
    Sidana beherrschte Mulai Ismail mit machiavellistischem Geschick. Sie sorgte dafür, dass der Sultan ihren Erstgeborenen Sidan zu seinem Erben bestimmte, und regierte den Harem mit eiserner Hand. Ihre wichtigste Rivalin im Kampf um die Gunst des Sultans war das genaue Gegenteil von ihr: ein geistreiches junges Mädchen, das als christliche Sklavin in den Harem gebracht worden war. Diese jungfräuliche Apostatin, die entweder aus Georgien oder England stammte, gebar dem Sultan bald einen Sohn, der den Namen Mulai Mohammed erhielt. Sidana, die ihre Stellung bedroht sah, nahm mit eiskalter Besonnenheit den Kampf auf: Sie verleumdete die junge Herzensdame des Sultans als Ehebrecherin und bestach Zeugen, damit sie gegen ihre Widersacherin aussagten. Der Sultan war so erzürnt, dass er die junge Frau erdrosseln ließ.
    Sidana sorgte auch für die Ermordung ungezählter anderer Rivalinnen und Widersacher, darunter Mulai Mohammed. Zudem hatte sie bei der grauenhaften Hinrichtung eines Kaids, der in zwei Teile zersägt wurde, ihre Hände im Spiel. Selbst den Henkern widerstrebte diese Untat,denn man befahl ihnen, nicht wie üblich beim Kopf, sondern zwischen den Schenkeln zu beginnen. »Sie waren von Kopf bis Fuß in Blut gebadet«, berichtet Pater Busnot, und »wussten bei mehreren Gelegenheiten nicht, wie sie fortfahren sollten, und die Zähne ihrer Säge rissen Fleischstücke heraus, die zu sehen kein Mensch ertragen konnte.«
    Sidana zählte zu den wenigen Angehörigen des Hofes, die eine

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