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Weisses Gold

Weisses Gold

Titel: Weisses Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Milton
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unbebaute Flecken. Auf einer dieser offenen Flächen tummelten sich große Ratten, die in so großer Zahl umherliefen, dass der Boden fast völlig mit ihnen bedeckt war. Am anderen Ende dieser Fläche befand sich ein duftender Granatapfelhain, der durch eine massive Brücke mit dem Palast verbunden war. Daran grenzte eine Allee an, die zu den drei Meilen entfernten Stallungen führte.
    John Windus versuchte, sich alles einzuprägen, was er gesehen hatte. Nach seiner Berechnung bedeckte die Hauptresidenz Mulai Ismails und seiner Frauen eine Fläche, die einen Umfang von etwa vier Meilen hatte und »an der höchsten Stelle« der Palastanlage lag. Die äußeren Mauern bestanden aus einem sehr dicken Mörtel. Windus schätzte, dass die einzelnen Mauerabschnitte – es war ihm unmöglich, sie alle zu zählen – jeweils etwa eine Meile lang und acht Meter dick waren und zahlreiche »längliche, rechteckige Plätze einschlossen, die sehr viel größer sind als Lincoln’s Inn Fields«. Die Böden einiger dieser Plätze waren zur Gänze mit Mosaiken bedeckt. In mehrere waren Gärten von erstaunlicher Tiefeeingelassen, die mit hohen Zypressen bepflanzt waren, deren Wipfel über die Mauerkronen ragten und den Palast sehr verschönerten.
    Jenseits der Privatresidenz lag das Madinat el-Rijad, an dem noch gearbeitet wurde. Dort wohnten die Wesire, die Höflinge sowie die schwarze Garde. Zu der Anlage gehörten Stallungen und riesige Getreidespeicher. Windus versuchte, die Gesamtfläche des Palastkomplexes zu schätzen, was ihm jedoch nicht gelang, da der Sultan ganze Abschnitte laufend umgestaltete oder erweiterte. Dennoch rechnete er aus, dass sich sämtliche Gebäude, wenn man sie aneinanderreihte, bei einer »zurückhalten den Schätzung« etwa von Meknes bis Fes erstrecken würden, das heißt über etwa 40 Meilen.
    Windus konnte die Ausmaße des Palastes zunächst kaum fassen, aber die Tatsache, dass die Anlage zur Gänze von christlichen Sklaven und marokkanischen Sträflingen errichtet worden war, machte verständlich, wie so etwas möglich war: »Es wird berichtet, dass zur Errichtung des Palastes jeden Tag 30 000 Männer und 10 000 Maultiere eingesetzt wurden.« Diese Zahlen, so Windus, seien »keineswegs unwahrscheinlich, wenn man sieht, dass der Palast aus kaum etwas anderem als Kalkstein besteht und jede Mauer mit übermäßigem Arbeitsaufwand errichtet wurde«.
    Nachdem sich Stewart zwei Tage lang durch die Palastanlagen hatte führen lassen, hielt er den Zeitpunkt für gekommen, die Sklaven aus Großbritannien und den nordamerikanischen Kolonien zu befreien. Er hatte große Mengen an Geschenken mitgebracht, die er nun unter den Höflingen des Sultans zu verteilen begann. Es mussten mehr als 50 Palastbedienstete beschenkt werden, darunter auch »der Halsabschneider des Königs« und ein englischer Renegat namens John Brown, der jener Wache angehörte, die für die Beaufsichtigung der christlichen Sklaven abgestellt war. Stewart hatte sogar ein Geschenk für den Mann mitgebracht, der stets den Schirm über den König hielt, und er hatte an die Personen gedacht, die »die Ersatzkleidung des Königs tragen«. In der Hoffnung, die Freilassung der Sklaven zu beschleunigen, wurden dem Sultan die kostbaren Geschenke überreicht. Doch Mulai Ismail gab zu bedenken, dass vor dem Ende des Fastenmonats Ramadan wenig getan werden könne. Stewart und Windus waren frustriert. Ohne die Hilfe des Sultans waren sie zur Untätigkeit verurteilt, doch dieser verbrachte nun einen noch größeren Teil seiner Tage als sonst im Gebet. John Windusseufzte resigniert: »Dies ist das religiöseste Zeitalter in der Geschichte der Berberei.«
    Am 15. Juli war endlich der letzte Tag des Ramadan gekommen. Nun begann ein großes Fest, das der Sultan mit öffentlichen Gebeten einleitete, gefolgt von farbenfrohen Prozessionen, zu denen die britische Gesandtschaft eingeladen wurde. Vor den Stadtmauern fand ein großer Aufmarsch statt, und man schlug Stewart und Windus vor, die Festlichkeiten auf der an das spanische Lazarett angrenzenden Mauer zu verfolgen, wo »der Prior eine schöne Tribüne für [sie] errichtet hatte«.
    Pünktlich um zehn Uhr morgens hörte man die sich nähernde Prozession, »eine große Zahl von Fußsoldaten und Reitern, die teils Lanzen und teils Schusswaffen trugen«. Die Soldaten feuerten ihre Waffen mit einer Fahrlässigkeit ab, die Windus schockierte: »Manche setzen ihre Turbane in Brand und verbrennen sich die Gesichter auf

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