Weisses Gold
diese Abfuhr, vor allem, da der Sultan die Geschenke bereits angenommen hatte. Doch es war keineswegs ungewöhnlich, dass sich Mulai Ismail so verhielt. Er war ein undurchschaubarer, kaum zu überbietender Meister der Sprunghaftigkeit, der es genoss, die Besucher seines Hofs an der Nase herumzuführen.
Stewart fragte sich, ob der Sultan die britischen Sklaven je freilassen würde, und bat Moses ben Hattar um Rat. Dieser riet ihm, sich an Umules Ettabba zu wenden, eine der Lieblingsfrauen des Sultans. Stewart befolgte den Ratschlag und schrieb einen langen Brief an die Königin. Dieses Schreiben macht deutlich, wie verzweifelt er angesichts der erneuten Wendung der Dinge war. Er flehte die Königin um Hilfe an und bat sie inständig, »diese Dinge dem Fürsten darzulegen und sich für [ihn] einzusetzen, damit [er] erhalte, was [er] erbeten habe«.
Die Königin wandte sich unverzüglich an Mulai Ismail und setzte sich für Stewarts Anliegen ein. Sie fand den Sultan in einer edelmütigen Stimmung vor. Er verkündete, er sei fest entschlossen, die Forderungen des Botschafters zu erfüllen, und sagte, es sei »nie ein Christ von besserer Urteilskraft und größerer Güte« an seinem Hof zu Gast gewesen. Sorge mache ihm nur, dass er keine Vorstellung davon habe, wie viele Briten genau in den Sklavenpferchen festgehalten würden, da viele von ihnen zum Islam übergetreten oder gestorben seien.
In der dritten Juliwoche erfuhr Stewart, dass es nun doch Hoffnung auf eine Lösung gab. »Der Herrscher befahl, alle englischen Gefangenen in seinen Palast zu bringen«, berichtet Windus, »und schickte zur selben Zeit nach dem Botschafter.« Nach zahlreichen Verzögerungen und Rückschlägen hatte sich Stewart mit dem Gedanken vertraut gemacht, mit leeren Händen nach England zurückzukehren. Nun wendete sich das Blatt erneut, und er war zum ersten Mal von einem Erfolg überzeugt.»Wir zogen mit spielender Musik zum Palast, wo wir den Fürsten in einem Säulengang sitzend vorfanden.«
Als sich Stewart dem Sultan näherte, bestieg Mulai Ismail sein Pferd und sagte »Bono, bono.« Arglistig wie immer, trug er eine beispielhafte Höflichkeit zur Schau. Er entschuldigte sich bei Stewart für alle Missverständnisse und versicherte ihm, dass kein Zweifel daran bestehe, wie viele Sklaven aus Großbritannien und den amerikanischen Kolonien noch in Meknes wären. Er deutete auf eine große Gruppe zerlumpter Männer und gab Stewart zu verstehen, dies seien alle Sklaven, die das langjährige Martyrium überlebt hätten. Dann »gab er den Gefangenen mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie mit dem Botschafter in ihr Heimatland zurückkehren sollten«.
Die Männer konnten ihr Glück kaum fassen. Sie hatten sechs Jahre auf diesen Augenblick gewartet und für die Rettung vor dem Tod durch Krankheit und Hunger gebetet. Einige ihrer Leidensgenossen waren vom Sultan selbst geschlachtet worden. Viele andere waren von seiner monströsen schwarzen Garde totgeschlagen worden. Diese hart gesottenen Überlebenden hatten zu viele tote Gefährten beklagt. Kapitäne, Maate und Matrosen: alle hatten Schwerstarbeit leisten müssen. Von den Besatzungsmitgliedern der
Francis
– Thomas Pellows Schiff – waren vier gestorben. Nur Lewis Davies, George Barnicoat und Thomas Goodman waren noch am Leben. Noch höher waren die Verluste unter den Crews der anderen Schiffe. In den vergangenen sechs Jahren waren hunderte britische Seeleute verschleppt worden, von denen nur 293 noch am Leben waren.
Mulai Ismails Worte hatten eine eigenartige Wirkung auf die im Palasthof versammelten Männer: Plötzlich warfen sie sich alle spontan »zu Boden und schrieen ›Gott segne ihre Hoheit‹«. Sie lagen einige Minuten im Staub, unsicher, ob sie wirklich glauben sollten, dass ihre Gefangenschaft beendet war. Man hatte ihnen zu oft falsche Hoffnungen gemacht. Doch nun schien ihr Aufenthalt in der Hölle endlich vorüber.
Als sich die Männer schließlich wieder erhoben, wurden sie von Stewart herzlich umarmt. Er wollte Meknes möglichst rasch verlassen, bevor es sich der Sultan wieder anders überlegte. Der Gesandte verabschiedete sich von Mulai Ismail und begann, die befreiten Sklaven zum großen Palasttor zu führen. Der Sultan rief ihm nach, »dass er den Botschafter und alle Engländer liebe, da er wisse, dass sie ihn und sein Haus liebten«.Er fügte hinzu, dass »kein englischer Mann mehr ein Sklave in seinem Reich sein solle und dass er sie alle in die Freiheit
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