Weißglut
wollte ich lieber vor Ort sein.«
Kurz nach Beginn der Nachtschicht hatte er gespürt, dass etwas nicht stimmte. »Wenn du so lange dort arbeitest wie ich, hast du Antennen für so was«, sagte er. »Du spürst einfach, wenn etwas faul ist. Also ging ich runter in die Halle und fragte die Männer, was los sei. Niemand wollte mit mir sprechen. Schon gar nicht in dem Klima, das momentan bei uns herrscht.«
»Du bist Huffs wichtigster Mann.«
Er biss wütend die Zähne zusammen, kommentierte die Bemerkung aber nicht. »Schließlich habe ich einem Mann entlocken können, dass Clark sich nicht zur Arbeit gemeldet hatte. Einer seiner Freunde rief bei seiner Frau an, die völlig ausflippte. Sie sagte, er sei längst weggefahren. Das alarmierte seine Kumpel, die am liebsten sofort losgerannt wären, um ihn zu suchen. Ich befahl ihnen, an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben, nahm aber ein paar Männer mit und machte mich mit ihnen zusammen auf die Suche. Schließlich sahen wir seinen Wagen keine zwei Blocks von seinem Haus entfernt am Straßenrand stehen. Clark lag bewusstlos und mit dem Gesicht nach unten im Graben. Es geht ihm wirklich schlecht.«
Sayre stand auf und wankte an den Schreibtisch. »Ich fahre hin.« Sie zog ein Paar Jeans aus der Schublade, aber Beck riss sie ihr aus der Hand und warf sie beiseite. »Das würde Mrs. Daly gar nicht gefallen, Sayre.«
»Ich pfeife darauf, was …«
»Hör mir zu!« Er packte sie an den Schultern. »Als Luce Daly ins Krankenhaus kam, sah sie mich und wetzte sofort die Krallen. Sie machte kein Geheimnis daraus, dass ich dort nicht erwünscht wäre. Sie schrie mich an, mich von ihrem Mann fernzuhalten. Diese Reaktion hätte ich erwartet, wenn Clark einen Arbeitsunfall gehabt hätte. So wie bei Alicia Paulik. Aber so war ich wie vor den Kopf geschlagen, denn immerhin hatte ich ihn gefunden und den Notarzt gerufen.
Bald stellte sich allerdings heraus, dass er keinem Raubüberfall zum Opfer gefallen war. Weit davon entfernt. Clark wurde zu Brei geschlagen, weil du ihn rekrutiert hast, Huffs Spione zu enttarnen und die Männer zum Streik aufzuhetzen.«
Er atmete schwer, konnte seine Stimme kaum zügeln, und sein Geduldsfaden war dünner als eine Spinnwebe. Als er plötzlich merkte, wie fest sich seine Finger in ihre Schultern krallten, ließ er sie unvermittelt los. Er wandte sich ab, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und drehte sich dann wieder um. »Sag mir, dass Mrs. Daly sich irrt, Sayre. Sag mir, dass das nicht stimmt.«
Sie hob trotzig das Kinn. »Du hast selbst von einem Krieg gesprochen.«
»Aber es ist nicht dein Krieg. Warum ergreifst du trotzdem Partei?«
»Weil es jemand tun muss. Weil die Sicherheitsstandards in dieser Gießerei ein Witz sind. Jemand muss dafür sorgen, dass sich etwas ändert.«
»Glaubst du ernsthaft, dass es der Sache hilft, wenn du dich einmischst? Glaubst du, es nutzt irgendjemandem, wenn du bei den Streikposten mitmarschierst?«
»Ich glaube schon.«
»Tja, da täuschst du dich. Total.«
»Ich zeige den Angestellten, wo ich stehe.«
»Du sprichst nicht mal ihre Sprache«, brüllte er sie an. »Das musst du doch gemerkt haben, als du neulich im Werk warst. Auch wenn du ein Plakat trägst, stehst du nicht auf derselben Stufe wie die Menschen, die einen Monat lang von dem leben könnten, was du für ein Paar Schuhe ausgibst.
Du hast vielleicht das Herz am rechten Fleck, Sayre, aber du denkst falsch. Du wirst das Vertrauen der Arbeiter und ihrer Familien nicht gewinnen können. Noch nicht. Und bis dahin bist du nur eine Brandstifterin. Deinetwegen hat man Clark Daly heute Nacht um ein Haar die Seele aus dem Leib geprügelt, und du kannst verdammt noch mal von Glück reden, dass wir nicht dich im Straßengraben gefunden haben.«
Seine Anschuldigungen schmerzten fast so sehr wie die Erkenntnis, dass er Recht hatte. Sie wandte sich ab, die Schultern beladen mit der Last ihrer Scham. »Wenn ich etwas nicht gewollt habe, dann Clark noch mehr Ärger zu machen.«
»Dann hättest du dich von ihm fernhalten sollen. Und genau diese Botschaft soll ich dir übermitteln.«
Sie hob den Kopf und sah ihn im Spiegel über der Kommode an. »Und von wem?«
»Luce Daly. Einer ziemlich klugen Frau. Sie hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Weil sie schon geahnt hat, dass du wie eine Irre zum Krankenhaus rasen und an Clarks Bett eilen würdest. Tja, tut mir leid. Seine Frau will dich nicht in seiner Nähe haben. Sie hat mir von deinen Besuchen bei ihm
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