Weit Gegangen: Roman (German Edition)
okay?«
»Ich bin so hungrig. Hast du was zu essen?«
»Nein. Ich hole dir was.«
»Nein!«, sage ich und springe beinahe von der Toilette auf. »Geh nicht. Ich esse, was wir dahaben. Geh nicht weg.«
Ich blicke in den Spiegel. Das Blut an meiner Schläfe und an meinem Mund ist getrocknet. Ich bin im Bad fertig, und Achor Achor gibt mir ein halbes Schinkensandwich, das er aus dem Tiefkühlfach geholt und in der Mikrowelle aufgetaut hat. Wir setzen uns auf die Couch.
»Warst du bei Michelle?«
»Es tut mir so leid, Achak. Wer war das?«
»Niemand, den wir kennen.«
»Wenn ich hier gewesen wäre, wäre das nicht passiert.«
»Ich denke doch. Sieh uns an. Was hätten wir denn tun können?«
Wir sprechen darüber, die Polizei zu rufen. Wir müssen rasch überlegen, was alles schiefgehen könnte, wenn wir das tun. Sind unsere Einwanderungspapiere in Ordnung? Ja. Haben wir irgendwelche unbezahlten Strafzettel wegen Falschparkens? Ich habe drei, Achor Achor zwei. Wir rechnen aus, ob wir noch genug auf dem Konto haben, um die Strafzettel zu bezahlen, falls die Polizei darauf besteht. Wir denken, es müsste reichen.
Achor Achor ruft die Polizei an. Er erklärt der Zentrale, was passiert ist, dass ich überfallen wurde und man uns ausgeraubt hat. Er vergisst zu erwähnen, dass der Mann eine Pistole hatte, aber ich denke mir, dass das erst einmal unwichtig ist. Wenn die Polizei da ist, werde ich genügend Zeit haben, die Ereignisse ausführlich zu schildern. Man wird mich mit aufs Revier nehmen, damit ich mir Fotos von Kriminellen anschaue, die denen, die mich überfallen haben, ähneln werden. Ich stelle mir kurz vor, wie ich gegen Tonya und Puder aussage, über einen empörten Gerichtssaal hinweg auf sie zeige. Mir wird klar, dass ich ihre vollen Namen erfahren werde, und sie meinen. Es wird mir eine Genugtuung sein, sie hierfür bezahlen zu lassen, aber ich werde umziehen müssen, weil auch ihre Freunde meine Anschrift kennen werden. Im Sudan kann ein Verbrechen gegen eine Person ganze Familien gegeneinander aufbringen, ganze Clans, bis die Angelegenheit gründlich geklärt ist.
Achor Achor und ich sitzen auf der Couch, und es wird still zwischen uns. Wir werden immer nervöser bei dem Gedanken, dass die Polizei in unsere Wohnung kommt. Ich habe kein Glück mit Autos und Polizisten. Seit drei Jahren besitze ich ein Auto, und ich hatte schon sechs Unfälle. Am 16. Januar 2004 hatte ich innerhalb von vierundzwanzig Stunden drei Unfälle. Es waren immer nur kleine Blechschäden, an Ampeln, Einfahrten und auf Parkplätzen, aber es drängte sich mir die Frage auf, ob sich da jemand einen Spaß mit mir erlaubte. Die diesjährige Tortur besteht nun darin, ständig abgeschleppt zu werden. Ich bin wegen Falschparkens abgeschleppt worden, wegen einer abgelaufenen Kfz-Anmeldung. Das geschah vor zwei Wochen und fing damit an, dass ich an einem Polizeiwagen vorbeifuhr, der gerade vom Parkplatz eines Kentucky Fried Chicken rollte. Der Cop folgte mir, schaltete das Blaulicht ein, und ich hielt sofort an. Der Mann, sehr groß und weiß, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen, erklärte mir, dass er mich vielleicht einsperren müsse.
»Willst du ins Gefängnis?«, fragte er mich unvermittelt und laut. Ich versuchte zu sprechen. »Willst du das?«, unterbrach er mich. »Willst du?«
Ich sagte, dass ich nicht ins Gefängnis wolle, und fragte, warum ich denn hineinmüsse.
»Warte hier«, sagte er, und ich wartete in meinem Auto, während er zu seinem Wagen zurückging. Kurz darauf erfuhr ich, dass er mich angehalten hatte, weil der Aufkleber an meinem Nummernschild abgelaufen war. Ich brauchte einen neuen, andersfarbigen Aufkleber. Dafür ersparte er mir das Gefängnis – er sagte wörtlich: »Ich halte jetzt mal den Kopf für dich hin, Junge, und erspare dir das« – und zwang mich lediglich, das Auto auf dem Highway stehen zu lassen, von wo es abgeschleppt wurde.
»Ich glaube, ich muss zurück zur Arbeit«, sagt Achor Achor.
Ich sage nichts. Ich weiß, dass er nur alle Alternativen durchspielt. Ich weiß, er wird mich zum Krankenhaus bringen, aber zuerst muss er abschätzen, wie schwierig es werden wird, seinen Vorgesetzten anzurufen. Er hat das Gefühl, dass man ihm täglich aus irgendeinem Grund kündigen könnte, und sich einen Nachmittag freizunehmen ist keine leichte Entscheidung.
»Ich könnte ihnen sagen, was passiert ist«, sagt er.
»Das ist nicht nötig«, sage ich.
»Nein, ich werde sie anrufen.
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