Weit Gegangen: Roman (German Edition)
New York fliegen, und einer davon war ich. Ich habe meinen guten Freund Bobby Newmyer verloren, und Tabitha ist nicht mehr und nun das. Über so etwas kann man, ehrlich gesagt, eigentlich nur lachen. Und in dem Moment, als mir dieser Gedanke kommt, beginnt Achor Achor zu lachen. Ich lächle, und wir wissen beide, was uns belustigt.
»Die haben sogar die Uhren mitgenommen«, sagt er.
Achor Achor hat eine schlechte Wahl getroffen, als er mich wählte. Ja, es gibt weitaus schlechtere Männer, junge Sudanesen, die sich zu oft amüsieren, die sich jeden Ärger einhandeln, den ein junger Mann haben kann, und so bin ich nicht, ebenso wenig wie Achor Achor. Aber ich habe ihm nicht viel Glück gebracht. Während wir dasitzen, fällt es mir schwer, ihn anzusehen. Wir kennen einander schon zu lange, und das hier ist vielleicht sogar die traurigste Situation, die wir gemeinsam erlebt haben. Wir sind jämmerlich. Er arbeitet noch immer in dem Möbelgeschäft, und ich besuche drei Förderkurse am Georgia Perimeter College. Sind wir die Zukunft des Sudan? Wohl kaum. Nicht, wenn wir uns solche Probleme einhandeln, nicht, wenn wir so oft Opfer der Umstände werden. Wir beschwören es selbst herauf. Wir haben keine richtige Rundumsicht, glaube ich. In den USA sehen wir die Gefahr nicht auf uns zukommen.
Zweiundfünfzig Minuten sind vergangen, als es an der Tür klopft.
Ich will aufstehen, doch Achor Achor bedeutet mir, ich solle sitzen bleiben. Er packt den Türknauf und dreht ihn.
»Warte!«, schreie ich. Er zögert nicht. Einen Moment lang glaube ich, es könnte wieder Tonya sein. Stattdessen steht vor der Tür eine kleine Frau mit Pferdeschwanz und asiatischen Zügen, die eine halbe Polizeiuniform trägt. Sie hat keine Mütze auf, und ihre Hose passt nicht zum Hemd. Achor Achor betrachtet sie mit unverhohlener Neugier.
»Wie ich höre, hatten Sie hier einen Zwischenfall«, sagt sie.
Achor Achor bittet sie herein und schließt die Tür. Sie lässt den Blick einmal durchs Zimmer schweifen, ohne den Blutfleck zu sehen. Ihre Schuhspitze berührt seinen Umriss auf dem Teppich. Achor Achor starrt einen Moment auf den Fleck, und sie folgt seinem Blick.
»Ha«, sagt sie. Sie macht einen Schritt zurück.
»Wer von Ihnen ist das Opfer?«, fragt sie, die Hände in den Hüften. Sie sieht erst mich an und dann Achor Achor. Ich sitze etwas mehr als einen Meter von ihr entfernt und habe getrocknetes Blut an Mund und Schläfe. Sie richtet ihr Augenmerk auf mich.
»Sind Sie das Opfer?«, fragt sie mich.
Achor Achor und ich sagen gleichzeitig ja. Dann steht er auf und zeigt auf mein Gesicht. »Er ist verletzt worden, Officer.«
Sie lächelt, neigt den Kopf und seufzt laut. Sie beginnt, mir Fragen zu stellen, will wissen, wie viele es waren und wann.
»Kannten Sie die Täter?«, fragt sie.
»Nein«, sage ich.
Ich schildere die Ereignisse der Nacht und des Morgens. Sie schreibt ein paar Worte in ein ledergebundenes Notizbuch. Sie ist dünn, alles an ihr ist zierlich, sie hat dunkles Haar und hohe Wangenknochen, und die Bewegungen ihrer Hände sind wie sie selbst – klein und akkurat.
»Und Sie kannten diese Leute ganz bestimmt nicht?«, fragt sie noch mal.
»Nein«, wiederhole ich.
»Aber warum haben Sie dann die Tür aufgemacht?«
Ich erkläre ihr erneut, dass die Frau mein Telefon benutzen wollte. Die Polizistin schüttelt den Kopf. Die Antwort scheint sie nicht zu überzeugen.
»Aber Sie kannten Sie nicht.«
Ich bestätige das.
»Und den Mann kannten Sie auch nicht?«
»Nein«, sage ich.
»Sie hatten beide vorher nie gesehen?«
Ich sage ihr, dass ich die Frau auf dem Weg zu meiner Wohnung gesehen hatte. Das interessiert die Polizeibeamtin. Sie schreibt etwas in ihr Notizbuch.
»Sind Sie versichert?«, fragt sie.
Achor Achor sagt, dass er versichert sei, und holt seine Versichertenkarte. Sie nimmt die Karte und betrachtet sie stirnrunzelnd. »Nein, nein. Ich meine eine Hausratversicherung«, sagt sie. »Die so einen Einbruch abdeckt.«
So etwas haben wir nicht, räumen wir ein. Ich sage ihr, dass die Frau mindestens ein Gespräch von meinem Handy aus geführt hat.
»Das müsste uns weiterhelfen, Mr. Achor«, sagt sie zu mir, schreibt das aber nicht in ihr Notizbuch.
»Ich bin Achor Achor«, sagte Achor Achor. »Er ist Valentino.«
Sie bittet um Entschuldigung und betont, wie interessant unsere Namen sind. Das ist für sie eine Überleitung zu der unvermeidlichen Frage nach unserer Herkunft. Sie fragt, wo wir
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