Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
Vom Netzwerk:
einen Säugling in einen Brunnen. Insgesamt töteten sie zweiunddreißig Personen, dann kletterten sie wieder auf ihre Lastwagen und fuhren davon. Noch am selben Tag packten die überlebenden Dorfbewohner ihre Sachen und flohen Richtung Süden. Bis 1984 waren Linos Dorf und all die umliegenden Dörfer, die auf dem Öl lagen, von Nuern gesäubert, und Chevron konnte ungehindert bohren.
    »He, kranker Mann!«
    Lino ist da. Er trägt einen blauen Nadelstreifenanzug mit langem breitschultrigen Jackett und drei Goldkettchen um den Hals. In Atlanta gibt es einen Laden, in dem, Gott steh uns bei, zu viele Sudanesen ihre Kleidung kaufen. Julian blickt von seiner Lektüre auf, schmunzelt über Linos Outfit und hört interessiert zu, wie wir drei schnell auf Dinka miteinander reden. Ich fange seinen Blick auf, und er wendet sich wieder seinem Buch zu.
    Es ist sieben Uhr. Wir sind jetzt gut drei Stunden hier.
    Lino sinkt neben uns auf einen Stuhl und schnappt sich die Fernbedienung. Während er durch die Kanäle zappt, fragt er, wieso das so lange dauert. Wir versuchen, es ihm zu erklären. Er fragt, ob ich krankenversichert bin, und ich sage nein, dass ich aber angeboten habe, bar zu bezahlen.
    »Das klappt nicht«, sagt Lino. »Die trauen dir nicht. Wieso sollten sie auch? Die denken, du kannst nicht zahlen, und sie lassen dich so lange warten, bis du von alleine wieder gehst, glaube ich. Es sei denn, du kannst ihnen irgendwie glaubhaft machen, dass du zahlen wirst.«
    Ich weiß nicht, ob Lino wirklich besser Bescheid weiß als ich, aber seinetwegen überkommen mich erneut Zweifel an Julian, diesem Krankenhaus und meiner Befähigung, hier behandelt zu werden.
    »Ruf Phil an. Oder Deb«, sagt Achor Achor, womit Deb Newmyer gemeint ist, Bobbys Witwe. Ich hatte auch schon überlegt, jemanden anzurufen. Ich hätte Phil anrufen können, aber Phil abends anzurufen ist ausgeschlossen, wegen seiner kleinen Kinder. Ich weiß, dass die Zwillinge um sieben ins Bett gehen, ich habe sie selbst schon ins Bett gebracht. Ich könnte Anne und Gerald Newton anrufen, aber dabei wäre mir nicht wohl. Sie würden sich zu große Sorgen machen. Sie würden sofort ins Krankenhaus kommen, Allison mitbringen, sich aus ihrem gewohnten Rhythmus reißen lassen, und das möchte ich nicht. Ich möchte nur einen Anruf. Ich möchte, dass jemand, der sich mit solchen Situationen auskennt, Julian und mir telefonisch die Sachlage erklärt. Deb wohnt in Kalifornien und ist vermutlich zu Hause. Ich wähle ihre Nummer. Billi, die jüngste Newmyer, meldet sich.
    »Valentino!«, sagt sie.
    »Hallo, meine kleine Freundin!«, sage ich. Ich frage sie nach ihrem Schwimmunterricht. Ich habe sie ein paarmal morgens zum Schwimmbad gefahren und am Rand sitzend bei ihren ersten Freistilversuchen zugeschaut. Sie hatte Angst, das Gesicht nach unten zu drehen und auf den vom Wasser verzerrten Beckenboden zu blicken. Ich lächelte ihr zu, versuchte, Zuversicht zu verströmen, doch es funktionierte nicht. Sie weinte immer die ganze Stunde hindurch, und heute Abend will sie nicht darüber reden.
    Sekunden später ist Deb am Apparat. Ich erzähle ihr eine längere Version der Geschichte. Deb, die viele Jahre in Hollywood gearbeitet hat und irgendetwas mit einer Serie namens Amazing Stories zu tun hat, ist fassungslos. Sie sagt, ich erinnere sie an jemanden, der dauernd Gespenster sieht, nur dass sich die Gespenster bei mir als real erwiesen. Deb will den Mann am Empfang sprechen. Mit einem gewissen Stolz halte ich Julian das Handy hin. Er betrachtet es mit einem gelangweilt verärgerten Blick.
    »Wer ist das?«, fragt er mich.
    »Eine von meinen Förderern. Sie ruft aus Los Angeles an und möchte sich nach der Behandlung erkundigen, die mir zuteilwird.«
    Julian verzieht das Gesicht und hebt das Telefon ans Ohr. Er und Deb unterhalten sich ein paar Minuten, und dabei zeigt sein Gesicht ein Mienenspiel von gereizt bis erheitert. Als sie fertig sind, bekomme ich das Handy zurück.
    »Er sagt, sie haben zu wenig Personal«, sagt Deb. »Ich habe ihn angeschrien, aber ich weiß nicht, was ich sonst noch tun kann. Ich wünschte, ich könnte rüberkommen und die Sache klären, Val.«
    Ich frage sie, wie lange ich ihrer Meinung nach warten solle.
    »Tja, der Mann sagt, es kann nicht mehr lange dauern. Wir lange bist du schon da?«
    Ich sage ihr, fast vier Stunden.
    »Was? Ist viel los? Ist wohl das reinste Tollhaus?«
    Ich sage ihr, dass es die ganze Zeit ruhig war, sehr ruhig.
    »Pass

Weitere Kostenlose Bücher