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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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gehandelt hat, sagte Pater Matong, und nur das Urteil Gottes kann Gewissheit geben, wie man sein Leben gelebt hat. Ich habe seitdem oft über seine Worte nachgedacht. Ich bin mir in so vielen Dingen unsicher, vor allem frage ich mich, ob ich ein gutes Kind Gottes war und bin oder nicht. Ich neige zu der Annahme, dass ich vieles falsch gemacht habe, denn sonst wäre ich nicht so oft gestraft worden, und Er hätte es nicht für nötig gehalten, so vielen Menschen, die ich liebe, etwas anzutun.
    Das Geräusch der Maschine über mir ist gleichmäßig, ein mechanisches Murmeln, das beruhigend klingt und zugleich unglaublich selbstsicher.
    Ich weiß, dass das Resultat der Kernspintomografie kein Gottesurteil ist, aber dennoch, sie verspricht die Antwort auf so viele Fragen. Warum tut mir der Kopf morgens noch immer so oft weh? Wieso habe ich, wenn ich mich anziehe, häufig diesen bohrenden Schmerz, der vom Hinterkopf bis in die Augen hinein ausstrahlt? Ich werde mich bestimmt erleichtert fühlen, hoffe ich, wenn ich die Antwort auf diese Fragen erhalte, selbst wenn die Diagnose nicht gut ausfällt. Vielleicht kann die Kernspintomografie erklären, warum ich am Georgia Perimeter College gelegentlich noch immer mittelmäßige Noten bekomme, obwohl ich weiß, dass ich eigentlich das Zeug hätte, durchweg hervorragende Leistungen zu bringen. Warum habe ich in den fünf Jahren, die ich mittlerweile in den Vereinigten Staaten bin, bisher nur so wenig erreicht? Und warum muss jeder, den ich kenne, viel zu früh und auf immer grässlichere Art sterben? Ich habe so viele sterben sehen, Julian, und das meiste davon habe ich dir erspart. Zum Beispiel die Einzelheiten über Jor, einen Jungen, den ich in Pinyudo kannte, und der nur wenige Zentimeter von mir entfernt von einem Löwen gerissen wurde. Wir waren in der Abenddämmerung durchs hohe Gras gegangen, um Wasser zu holen. Eben spürte ich noch Jors Atem im Nacken, und im nächsten Moment roch ich das Raubtier, seinen düsteren Schweißgeruch. Ich fuhr herum und sah Jor schlaff und tot in seinen Fängen. Der Löwe blickte mir direkt in die Augen, emotionslos, und wir starrten einander tage-und nächtelang an. Dann drehte er sich um und verschwand mit Jor. Ich will mir nicht einbilden, Julian, dass Gott für mich eine ganz besondere Art von Strafe ausgesucht hat, aber andererseits ist das Ausmaß des Unglücks, das mich umgibt, einfach nicht zu übersehen.
    Der innere Ring hat sich einmal vollständig gedreht und bleibt jetzt stehen. Die Stille im Raum ist vollkommen. Dann Schritte.
    »War doch nicht so schlimm, was?« Julian ist wieder neben mir.
    »Ja, danke«, sage ich. »Es war interessant.«
    »Gut, das wär’s. Lass uns zurückgehen.«
    Ich stehe auf und halte mich einen Moment an dem Gerät fest. Es ist wärmer, als ich dachte. »Wie geht es jetzt weiter?«, frage ich. »Analysieren Sie die Ergebnisse?«
    »Wer, ich? Nein, nein. Ich doch nicht.«
    Wir gehen an dem Techniker hinter der Glasscheibe vorbei, und ich sehe auf einem Bildschirm in dem dunklen Raum Querschnitte eines – meines? – Kopfes in Grün-, Gelb-und Rotschattierungen. Wie Satellitenbilder vom Wettersystem eines anderen Planeten.
    »Bin ich das?«
    »Das sind Sie, Valentino.«
    Wir bleiben einen Moment vor der Scheibe stehen, sehen zu, wie der Bildschirm offenbar zu anderen Bereichen meines Gehirns wechselt, andere Blickwinkel eröffnet. Es ist eine Form der Gewaltanwendung, dass dieser Fremde meinen Kopf untersuchen kann, ohne mich zu kennen.
    »Prüft dieser Mann die Ergebnisse?«, frage ich.
    »Nein, der auch nicht. Er ist bloß Techniker. Kein Arzt.«
    »Ach so.«
    »Es dauert nicht lange, Valentino. Im Augenblick ist keiner hier, der die Bilder lesen kann. Der Arzt kommt erst später. Sie können da warten, wo Sie vorhin waren. Haben Sie Hunger?«
    Ich sage nein, und er blickt mich skeptisch an.
    Wir fahren mit dem Lift wieder nach oben. Ich frage ihn, ob er einen von den Männern getötet hat.
    »Das ist das Einzige, was ich nicht getan habe. In dem Moment, als sie mich Arschloch nannten, hab ich mich umgedreht, einen von ihnen mit dem Kopf gegen die Wand geknallt und dem anderen in die Brust getreten. Der hatte noch nicht mal seine Pistole gezogen. Der eine lehnte bewusstlos an der Wand, und der, den ich getreten hatte, lag auf dem Boden. Ich habe ihm ein Knie auf die Brust gesetzt, die Pistole genommen und ein paar Minuten mit ihm gespielt. Ihm den Lauf in den Mund geschoben und so. Der hat sich in

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