Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Augen und ein vorstehendes Kinn. Er beherrschte die Szene. Selbst aus der Entfernung war unübersehbar, dass er eine Führungspersönlichkeit war.
– Das ist ein großer Mann, flüsterte Moses.
– Dieser Mann ist Gott, sagte Isaac.
Garang hob triumphierend die Hände, und die Erwachsenen, vor allem die Frauen, steigerten sich in einen Taumel der Begeisterung. Die Frauen stießen lang gezogene schrille Schreie aus und hoben die Arme und schlossen die Augen. Wir wandten uns um, die Erwachsenen und die jungen Soldaten tanzten und wedelten wild mit den Armen. Weitere Lieder wurden gesungen.
Wir werden die sudanesische Fahne erneuern
Wir werden die sudanesische Fahne umgestalten
Denn der Sudan ist in Unordnung
Sadiq el Mahdi ist korrupt
Wol Wol ist korrupt
Die SPLA hat ein Messer – vorn am Lauf einer AK-47
Mutige Männer, die nichts fürchten
Das sind die Männer, die uns befreien werden, durch ein Blutvergießen
Rote Armee – Soldaten des Doktors
Wir werden kämpfen bis zur Befreiung des Sudan
Der Mann, der unter Moskitostichen, Durst und Hunger leidet
Er ist ein wahrer Befreier
Wir werden den Sudan befreien, durch ein Blutvergießen
Dann sprach John Garang.
– Ich ergreife die Gelegenheit, um meinen revolutionären Gruß an jeden einzelnen SPLA-Soldaten an der Front zu richten, der unter äußerst schwierigen Bedingungen einen kolossalen, zwingenden Sieg nach dem anderen gegen ausbeuterische und tyrannische Regierungen errungen hat und weiter erringen wird, dafür gebührt ihm meine Anerkennung.
Ein Brüllen stieg von den vierzigtausend auf.
– Halb nackt, barfuß, hungrig, durstig und angesichts zahlloser anderer Strapazen hat der SPLA-Soldat der ganzen Welt gezeigt, dass die Unbill des Lebens ihn niemals von der Sache des Volkes und der Rechtmäßigkeit seines Kampfes abbringen kann. Der SPLA-Soldat hat eine jahrhundertealte Erkenntnis der Menschheit erneut unter Beweis gestellt, dass die Widerstandskraft und die Entschlossenheit des Menschen unerschöpflich sind, wenn Würde und Gerechtigkeit bedroht werden.
Er ist ein hervorragender Redner, dachte ich, der beste, den ich je gehört habe.
Ich lauschte Dr. John Garang und behielt dabei die Soldaten um ihn herum genau im Auge. Ihre Blicke schweiften über die Menge. Garang sprach über die Geburt der SPLA, über Ungerechtigkeiten, Öl, Land, Rassendiskriminierung, die Scharia, die Murahilin. Dann sprach er darüber, dass Khartoum die Dinka unterschätzt hatte. Dass die SPLA dabei war, diesen Krieg zu gewinnen. Er sprach stundenlang, und als der Nachmittag in den Abend überging, schien er endlich zum Ende zu kommen.
– Du, SPLA-Soldat, dröhnte er, – wo immer du bist, was immer du gerade tust, ob du kämpfst oder in Deckung bist, ganz gleich, welcher Aufgabe du dich stellst, ganz gleich, was du fühlst, wie deine derzeitige Verfassung ist, ich grüße und beglückwünsche dich, SPLA-Soldat, für deine heldenhaften Opfer und deine Standfestigkeit bei der Verfolgung deines einzig wahren Ziels, einen neuen Sudan zu errichten. Seht uns an! Wir werden einen neuen Sudan errichten!
Das Tosen klang, als risse die Erde auf. Die Frauen schrien wieder schrill, und die Männer brüllten. Ich presste die Hände auf die Ohren, um sie vor dem Lärm zu schützen, doch Moses schlug sie weg.
– Aber es liegt noch viel Arbeit vor uns, sprach Garang weiter. – Wir haben einen weiten Weg zu gehen. Ihr Jungen, und an dieser Stelle deutete Garang auf die sechzehntausend Jungen, die vor ihm saßen, – ihr werdet die Schlacht der Zukunft ausfechten. Ihr werdet sie auf dem Schlachtfeld ausfechten und in den Klassenräumen. Von nun an werden sich die Dinge in Pinyudo ändern. Wir müssen jetzt ernst machen. Das hier ist kein Wartecamp. Wir können nicht warten. Ihr Jungen seid die Samenkörner. Ihr seid die Samenkörner des neuen Sudan.
Das war das erste Mal, dass man uns als »Samenkörner« bezeichnete, und von da an wurden wir immer so genannt. Nach der Ansprache änderte sich in Pinyudo alles. Hunderte von Jungen brachen sofort auf, um sich in Bonga, einem SPLA-Camp in der Nähe, zu Soldaten ausbilden zu lassen. Lehrer gingen ebenfalls fort, um Soldat zu werden. Die meisten Männer zwischen vierzehn und dreißig gingen nach Bonga, und da so viele Schüler und Lehrer fehlten, mussten die Schulen neu organisiert werden.
Auch Moses meinte, es sei für ihn an der Zeit.
– Ich will Soldat werden.
– Du bist zu jung, sagte ich.
Ich war zu jung, glaubte ich, und
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