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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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damit war Moses auch zu jung.
    – Ich habe einen der Soldaten gefragt, und der hat gesagt, ich wäre groß genug.
    – Und mich willst du einfach hier zurücklassen?
    – Komm doch mit. Du solltest mitkommen, Achak. Warum sind wir überhaupt hier?
    Ich wollte nicht Soldat werden. Es gab viele aggressive Jungen in Pinyudo, aber ich hatte diese Aggression einfach nicht im Blut. Wenn Jungen aus Langeweile oder um sich miteinander zu messen, Ringkämpfe veranstalten oder sich richtig prügeln wollten – und nachdem wir alle wieder zu Kräften gekommen waren, suchten die Jungen in Pinyudo immerzu und völlig grundlos Streit –, fehlte mir einfach die Lust dazu. Das Einzige, wozu ich mich schon mal hinreißen ließ, waren spielerische Raufereien unter Freunden. Ich wollte bloß zur Schule gehen, wollte die Königlichen Mädchen treffen und bei ihnen zu Mittag essen und unter ihrer Kleidung versteckte Dinge finden.
    – Wer soll diesen Kampf kämpfen, wenn nicht Männer wie wir?, fragte Moses.
    Er dachte, wir seien Männer, er hatte den Verstand verloren. Wir wogen nicht einmal vierzig Kilo, und unsere Arme waren dünn wie Bambustriebe. Aber nichts, was ich sagte, konnte Moses davon abbringen, und in derselben Woche brach er auf. Er ging zur SPLA, und das war für lange Zeit das letzte Mal, dass ich ihn sah.
    Der Sommer war geprägt von Arbeit und radikalen Veränderungen. Kurz nachdem John Garang wieder abgereist war, kam ein charismatischer junger SPLA-Kommandant nach Pinyudo, und er kam, um zu bleiben. Sein Name war Mayen Ngor, und er hatte eine Mission. Ebenso wie Garang war er ein Experte für Agrartechnik, und er machte es sich zur Aufgabe, das an den Fluss angrenzende Land zu bewässern. Eines Tages sahen wir ihn, groß und schwanenartig in weißem Hemd und weißer Hose, mit einem Gefolge von vier kleineren, unscheinbareren Entchen. Es waren seine braun uniformierten Assistenten, die das unbebaute Land emsig in breite Streifen einteilten. Am nächsten Tag kehrte er mit Äthiopiern und Traktoren im Schlepptau zurück, und sie gruben mit unglaublicher Geschwindigkeit den Boden um und legten entlang dem Wasserlauf Dutzende akkurater Rechtecke an. Mayen Ngor war ein ungemein tüchtiger Mann, und er sprach sehr gern darüber, wie ungemein tüchtig er doch war.
    – Seht ihr, wie schnell das geht? fragte er uns. Er hatte rund dreihundert von uns Jungen am Fluss versammelt, um seine Pläne zu erläutern und die Rolle, die wir darin spielten.
    – Das ganze Land, alles, was ihr hier vor euch seht, ist potenzielle Nahrung. Wenn wir das Land klug beackern und pflegen, kann es uns zusammen mit dem Fluss alle Nahrung liefern, die wir benötigen.
    Wir hielten das für eine schöne Idee, aber natürlich wussten wir, dass der anstrengendste Teil der Landerschließung den elternlosen Jungen aufgehalst werden würde, und so war es dann auch. Wochenlang brachte Mayen Ngor uns den Umgang mit Hacke, Spaten, Schubkarre, Axt und Sichel bei, und nachdem die schweren äthiopischen Geräte längst fort waren, erledigten wir die ganze Arbeit mit den Händen. Während wir schufteten und schließlich Tomaten, Bohnen, Mais, Zwiebeln, Erdnüsse und Hirse aussäten, spazierte Mayen Ngor zwischen uns herum und predigte mit von der Vision reicher Ernte leuchtenden Augen und missionarischem Eifer.
    – Wie heißt du, Jaysh al-Ahmar?, fragte er mich eines Tages.
    Die Elf, die in meiner Nähe arbeiteten, blickten alle auf, als der große Mann mich ansprach. Ich nannte Mayen Ngor meinen Namen. Er zog es vor, ihn nicht zu benutzen.
    – Jaysh al-Ahmar, hast du eine Ahnung, wie das Land aussehen wird, wenn ihr fertig seid? Siehst du, dass diese Erde hier potenzielle Nahrung ist?
    Ich beteuerte, dass ich das sähe und dass mich dieser Gedanke ungemein begeisterte.
    – Gut, gut, sagte er, während er hoch aufgerichtet über die Reihen Hunderter Jungen blickte, die allesamt über ihre Hacken und Spaten gebeugt waren. Der Anblick dieser ausgezehrten Kinder, die in der Sommersonne arbeiteten, war eine Augenweide für ihn.
    Und dann schritt er weiter die Reihen ab.
    Als er außer Hörweite war, konnten die Elf sich nicht mehr beherrschen, und um mich herum brach Gelächter aus. Von diesem Tag an wurde Mayen Ngor nur noch Mr Potenzielle Nahrung genannt. Noch monatelang machten wir uns einen Spaß daraus, auf einen Stein, eine Schaufel oder einen Lastwagen zu zeigen und »Potenzielle Nahrung!« zu sagen. Achor Achor konnte ihn am besten nachahmen und machte

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