Weit Gegangen: Roman (German Edition)
hatten so lange gewartet, und dann ließen sie uns endlich auf Ziele schießen. Oh Mann, die Gewehre tun weh! Die treffen dich, während du das Ziel triffst! Das nennt man Rückschlag. Meine Schulter tut jetzt noch weh, Achak.
– Welche Schulter?
Er zeigte auf die rechte Schulter, und ich stieß dagegen.
– Nicht!
Ich tat es noch mal. Die Versuchung war zu groß.
– Nicht!, sagte er und ging auf mich los.
Unser Ringkampf dauerte ein paar Minuten, und dann merkten wir, dass wir nicht die Energie hatten, richtig zu ringen, weil wir müde und unternährt waren. Wir waren hungriger, als wir es in Pinyudo gewesen waren. Wir aßen eine Mahlzeit am Tag, abends, und den Rest des Tages versuchten wir, unsere Kräfte zu schonen. Ich weiß nicht, warum es für die UN in Pinyudo einfacher war, die Flüchtlinge zu ernähren, als in Kakuma. Wir standen auf und gingen weiter, vorbei an einigen Unterkünften, in denen SPLA-Familien lebten.
– Sie haben uns fünf Kugeln gegeben, und sie haben uns festgehalten, während wir schossen. Wir haben uns auf den Bauch gelegt, damit wir ruhiger waren. Es tat sehr weh, aber ich fand’s schön, wie die Kugeln aus meinem Gewehr flogen. Ich habe nichts getroffen. Ich weiß nicht, wo meine Kugeln hinflogen. Ich habe sie nie wiedergesehen. Sie sind in den Himmel geflogen oder so.
Ich sagte ihm, dass sich die Ausbildung gut anhörte.
– Nein, nein, Achak. Sie war nicht gut. Niemand fand sie gut. Und ich bin bestraft worden. Ich hatte etwas gemacht, das in ihren Augen falsch war, Achak. Einmal bin ich zu spät zum Exerzieren gekommen, und sie dachten, ich sei ein Unruhestifter. Später habe ich rausgefunden, dass sie mich mit einem anderen Moses verwechselt haben. Aber sie dachten, ich sei ein übler Bursche, und deshalb wurde ich bestraft. Sie haben mich in einen Verschlag gesteckt, so einen Verschlag, in dem man Vieh hält. Ich musste zwei Tage stehen. Ich konnte mich nicht setzen. Ich stand jede Minute, bis ich einschlief. Sie ließen mich schlafen, von Tagesanbruch, bis die Sonne vollständig aufgegangen war, vielleicht zwei Stunden. Es war schlimmer als im Haus des Arabers. Bei dem Araber war es leicht, ihn zu hassen und seine Familie und diese Kinder. Aber das da war so verwirrend. Ich war nach Bonga gekommen, um mich ausbilden zu lassen und zu kämpfen, aber jetzt kämpften sie gegen mich. Sie wollten mich töten, Achak, ich schwöre es. Sie sagten, das gehört zur Ausbildung. Sie sagten, sie würden Männer aus uns machen, aber ich weiß, dass sie mich töten wollten. Hast du je das Gefühl gehabt, dass jemand dich ernsthaft töten wollte, speziell dich?
Ich dachte über die Frage nach und musste mir eingestehen, dass ich es nicht mit Sicherheit wusste.
– Wir sind den ganzen Tag gerannt, Achak. Wir sind Hänge raufgerannt und dann wieder runter. Während wir rannten, haben die Ausbilder uns geschlagen, uns angebrüllt. Aber die Jungen waren nicht stark genug. Die Ausbilder da waren nicht sehr klug. Sie hatten ihre Ausbildungsmethoden, und sie haben sie eingesetzt, aber sie haben vergessen, dass diese Jungen sehr krank und schwach und mager waren. Kannst du Berge hochlaufen, wenn du geschlagen wirst, Achak?
– Nein.
– Also sind die Jungen gestürzt. Die Jungen sind gestürzt und haben sich die Knochen gebrochen. Ich habe gesehen, wie ein Junge hinfiel. Wir rannten den Berg hinunter, und einer von den Ausbildern fing an, diesen Jungen anzubrüllen. Seine Name war Daniel. Er war so groß wie ich, aber dünner. Als ich ihn sah, wusste ich, dass er in Bonga fehl am Platz war. Er war einer der Jüngsten, und er war so langsam! Er lief langsamer, als du gehen kannst. Es sah lustig aus, aber es war nicht gestellt, er lief einfach so. Das machte die Ausbilder rasend. Sie wollten ihn nicht im Camp haben, so wie sie mich nicht im Camp haben wollten. Also schrien sie Daniel an, und sie nannten ihn Scheiße. Das war sein Name in Bonga: Scheiße.
Wir mussten beide kurz darüber lachen. Wir konnten nicht anders. Wir hatten noch nie jemanden gekannt, der Scheiße hieß.
– Wir rannten ständig diesen Berg rauf und runter, und einmal war es fast dunkel, als wir das machten. Die Sonne war untergegangen, und wir konnten kaum noch was sehen. Einer der Ausbilder hieß Genosse Francis, der war zu allen brutal, aber ich hatte noch nie erlebt, wie er mit Daniel umging. An diesem Abend war er überall dort, wo Daniel war. Er lief neben ihm her, er lief rückwärts vor ihm her und pfiff
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