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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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sagte er. – Wir müssen hier sauber machen. Dann müssen wir Räume anbauen. Und dann müssen wir wieder sauber machen.
    Seit Wochen sagte er das jeden Morgen. Morgens war die Zeit, in der er sich die meisten Sorgen machte. Jeden Morgen, so erklärte er, sprangen ihn die fauchenden Hyänen seiner zahlreichen Verpflichtungen an.
    – Meinst du, zwei Räume werden genügen?, fragte er mich.
    Ich sagte, das müsste mehr als genug sein.
    – Wie dem auch sei, es wird nicht so aussehen, als würde es reichen, sagte er. – Ich fasse es nicht, dass sie herkommen! In dieses Rattenloch!
    Zu dem Zeitpunkt lebte ich schon seit fast drei Jahren in Kakuma mit Gop Chol zusammen. Gop stammte aus Marial Bai und war über Narus und verschiedene andere Zwischenstationen nach Kakuma gelangt. Kakuma war mit der Ankunft von zehntausend Jungen wie mir entstanden, Jungen, die durch Dunkelheit und Staub gekommen waren, doch das Camp wuchs rasch und umfasste bald Zehntausende von Sudanesen – Familien, Teilfamilien und Waisen – und nach einiger Zeit auch Ruander, Ugander, Somalis und sogar Ägypter.
    Nachdem wir monatelang in improvisierten Unterkünften gelebt hatten, Behausungen, wie wir sie normalerweise bauten, wenn wir in ein neues Lager kamen, erhielten wir schließlich vom UN-Flüchtlingshilfswerk Pfosten und Planen und andere Materialien, um solidere Unterkünfte zu bauen, und das taten wir dann auch. Irgendwann zogen viele Jungen wie ich mit Familien aus ihren Heimatorten und -gegenden zusammen, um das Vorhandene gemeinsam zu nutzen, Pflichten zu teilen und die Sitten unserer Clans lebendig zu halten. Während das Lager auf zwanzigtausend Menschen heranwuchs, auf vierzigtausend und noch mehr, während es sich weiter hinaus in die trockene, winddurchwehte Leere ausdehnte und während der Bürgerkrieg weiterhin anhielt ohne nachzulassen, wurde das Camp immer dauerhafter, und viele von denen, die Kakuma zunächst für eine Zwischenstation gehalten hatten, bis die Lage im Südsudan sich verbessern würde, ließen jetzt ihre Familien nachkommen. So auch Gop.
    Gop gegenüber äußerte ich mich nicht zu dem Plan, seine Frau und seine drei Töchter an einen solchen Ort zu holen, doch insgeheim hatte ich Bedenken. Kakuma war ein fürchterlicher Ort für die Menschen, die dort lebten, für die Kinder, die dort aufwuchsen. Aber im Grunde blieb ihm keine andere Wahl. Bei seiner jüngsten Tochter war in einem Krankenhaus in Nyamlell, östlich von Marial Bai, eine Knochenkrankheit diagnostiziert worden, und der dortige Arzt hatte veranlasst, sie ins Lopiding Hospital zu verlegen – der besser ausgestatteten Klinik in der Nähe von Kakuma. Gop wusste nicht genau, wann die Verlegung stattfinden würde, und so verbrachte er unmäßig viel Zeit damit, jeden aus Lokichoggio auszufragen, jeden, der irgendetwas mit Medizin oder dem Transport von Flüchtlingen zu tun hatte.
    – Meinst du, sie werden sich hier wohlfühlen?, fragte mich Gop.
    – Sie werden froh sein, dass sie bei dir sind, sagte ich.
    – Aber dieser Ort … kann man hier überhaupt leben?
    Ich sagte nichts. Trotz aller Mängel war von Anfang an klar gewesen, dass dieses Lager anders sein würde als die in Pinyudo und Pochalla und Narus und andere, in denen wir gewesen waren. Kakuma war im Voraus geplant worden, wurde von der UN geleitet und die Mitarbeiter waren zunächst fast ausschließlich Kenianer. Dadurch war eine gewisse Ordnung gesichert, doch im Innern und auch außerhalb wuchs der Groll. Die Turkana, das Hirtenvolk, das seit tausend Jahren im Kakuma District lebte, sollten von einem Tag auf den anderen vierhundert Hektar hergeben und ihr Land plötzlich mit Zehntausenden Sudanesen und später Somalis teilen, mit denen sie kulturell rein gar nichts verband. Die Turkana empörten sich über unsere Anwesenheit, und im Gegenzug empörten die Sudanesen sich über die Kenianer, die sich anscheinend jeden verfügbaren Job im Camp unter den Nagel gerissen hatten und für Arbeiten bezahlt wurden, die wir in Pinyudo mühelos selbst erledigt hatten. In ihren weniger nachsichtigen Augenblicken betrachteten die Kenianer wiederum uns Sudanesen als Blutegel, die im Grunde nur aßen und verdauten und sich beschwerten, wenn mal etwas nicht nach Wunsch lief. Irgendwo dazwischen waren eine Handvoll humanitärer Helfer aus Europa, dem Vereinigten Königreich, Japan und den Vereinigten Staaten, die allesamt darauf bedacht waren, sich den Afrikanern unterzuordnen, und verschwanden, wenn im

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