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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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überzeugt, dass dieser Lastwagen am sichtbarsten die Taten des Teufels verkörperte, dass er in jeder Hinsicht sein Werk auf Erden symbolisierte. Ich wusste, es war eine Prüfung, und ich fuhr mit, bis der Laster endlich langsamer wurde und die Einfahrt zum Lopiding Hospital hinaufrollte.
    Ohne zu zögern, sprang ich über die Seitenklappe und purzelte zu Boden. Ich wollte den Lastwagen im Eilschritt hinter mir lassen und im Krankenhaus ein sicheres Versteck suchen. Als ich auf der harten Erde landete, brauchte ich einen Moment, um den Kontakt zur Welt wiederherzustellen und zu begreifen, dass ich selbst nicht tot war, dass ich nicht in die Hölle geschleudert worden war. Ich stand auf, merkte, dass meine Arme und Beine funktionierten, und dann rannte ich los.
    – Warte, Rote Armee? Wo willst du hin?
    Ich rannte weg von dem Lastwagen, der sich vorsichtig an einer Reihe von Schlaglöchern vorbeimanövrierte. Ich rannte, überholte den Wagen problemlos und steuerte auf ein Gebäude am hinteren Rand des Geländes zu.
    Lopiding bestand aus zahlreichen Zelten und ein paar weißen Ziegelbauten, himmelblauen Dächern, Akazien, Plastikstühlen im Freien für wartende Patienten. Ich rannte auf die Rückseite eines Gebäudes und stieß beinahe einen Mann um, der einen falschen Arm in der Hand hielt.
    – Vorsicht, Junge!
    Der Mann war ein Kenianer mittleren Alters. Er sprach mich auf Kisuaheli an. Überall um ihn herum waren Einzelteile für neue Füße, Beine, Arme, Gesichter.
    – He, Rote Armee! Komm.
    Es war der Soldat vom Lastwagen, der nach mir rief.
    – Hier nimm. Zieh sie an.
    Der Kenianer gab mir eine Maske, rot und zu klein für mich. Ich presste mein Gesicht hinein. Ich konnte durch die Augenlöcher sehen, und der Kenianer band mir die Maske fest.
    – Danke, sagte ich.
    Es war ein immerzu lächelnder Mann mit dicken Backen und breiten hängenden Schultern.
    – Nicht nötig, sagte er. – Suchen sie noch immer nach dir?
    Ich spähte um die Ecke. Die beiden Männer vom Laster gingen auf das Gebäude zu. Sie verschwanden kurz darin und kehrten dann mit einer Tuchtrage zu ihrem Fahrzeug zurück. Zuerst luden sie den alten Mann ab und trugen ihn hinein. Dann gingen sie wieder zum Laster und holten den Jugendlichen mit dem fehlenden Bein, der so auf der Trage lag, wie er auf der Ladefläche gelegen hatte, als hätte er es ganz bequem. Das waren die einzigen zwei Passagiere, die in Lopiding abgeladen wurden. Die übrigen waren tot oder würden bald tot sein. Die Männer warfen die Trage auf die Ladefläche, und der Fahrer kletterte ins Führerhaus. Der andere Mann, der Vielleicht-Rebell, der mich geärgert hatte, blieb mit einer Hand am Türgriff stehen.
    – Rote Armee! Es geht weiter! Diesmal darfst du vorne mitfahren!, rief er.
    Jetzt wurde ich unsicher. Wenn ich die Mitfahrgelegenheit nicht nutzte, würde ich wahrscheinlich keine andere bekommen. Ich trat aus dem Gebäude. Der Vielleicht-Rebell sah mich direkt an. Er ließ die Hand von der Wagentür sinken und legte den Kopf schief. Er starrte mich durchbohrend an, rührte sich aber nicht vom Fleck, genau wie ich. Hinter der Maske fühlte ich mich sicher. Ich wusste, er würde mich nicht erkennen. Er wandte sich von mir ab und rief etwas nach oben in die Bäume, suchte nach dem Jungen, der auf dem Lastwagen gewesen war.
    – Tut mir leid, Junge!, rief der Mann. – Ich verspreche, wir bringen dich in den Sudan. Gesund und munter. Letzte Chance.
    Ich machte einen Schritt Richtung Laster. Der Kenianer packte mich am Arm.
    – Geh nicht. Die kriegen ein Kopfgeld für dich. Die SPLA wird sich über einen neuen Rekruten freuen. Diese Leute bekommen gutes Geld dafür, wenn sie dich abliefern.
    Ich konnte mich nicht entscheiden.
    – Ich sorge dafür, dass du in den Sudan kommst, wenn du unbedingt willst, sagte der Kenianer. – Ich weiß nicht wie, aber ich sorge dafür. Ich will nur nicht, dass du da drüben getötet wirst. Du bist zu mager zum Kämpfen. Das weißt du doch selbst, oder? Du wirst zwei Wochen ausgebildet und dann an die Front geschickt. Bitte. Warte einfach kurz hier, bis sie abfahren.
    Ich wollte unbedingt zu den Männern in den Laster, wollte ihrem Versprechen glauben, dass sie mich vorne bei sich im Führerhaus mitfahren lassen und mich sicher über die Grenze bringen würden. Und doch merkte ich, dass ich dem Kenianer, den ich gar nicht kannte, mehr glaubte als meinen eigenen Landsleuten. Das kam manchmal vor, und es war mir stets ein Rätsel.
    Ich

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