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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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Ich bin nicht bei der Einwanderungsbehörde.
    Ich erzählte ihm, wie ich mich davongeschlichen und Polizisten bestochen hatte.
    – Erstaunlich, wie leicht das geht, nicht? Ich liebe mein Land, aber Korruption gehört hier ebenso zum Leben wie die Luft oder die Erde. Es ist nicht so schlimm, in Kenia zu leben, oder? Wenn du alt genug bist, findest du bestimmt einen Weg, aus dem Camp raus und nach Nairobi zu kommen. Da findest du bestimmt Arbeit, vielleicht kannst du sogar zur Schule gehen. Du machst ja einen ganz pfiffigen Eindruck, und es gibt Tausende von Sudanesen in der Stadt. Wo sind deine Eltern?
    Ich erwiderte, dass ich das nicht wusste. Ich war ganz benommen vom Geschmack des Hühnchens.
    – Es geht ihnen bestimmt gut, sagte er, musterte sein Hühnerbein und suchte eine Stelle aus, um erneut hineinzubeißen. Mit vollem Mund nickte er. – Sie leben bestimmt noch. Hast du gesehen, wie sie getötet wurden?
    – Nein.
    – Dann besteht Hoffnung. Wahrscheinlich denken sie auch, du wärst tot, und du sitzt hier in Kenia, isst Hühnchen und trinkst Limo.
    Ich glaubte Abrahams Worten, ganz einfach weil er ein gebildeter Kenianer war und vielleicht über Informationen verfügte, die wir im Camp nicht hatten. Die Trennwand zwischen dem Leben in Kakuma und dem Rest der Welt schien beinahe undurchdringlich. Wir sahen und trafen Menschen aus der ganzen Welt, hatten aber praktisch keine Hoffnung, je irgendwo anders hinzukommen, nicht einmal in das Kenia jenseits von Loki. Also sog ich Abrahams Worte auf, als sei er ein Prophet.
    Wir beendeten unser Mittagessen, das köstlich war, wenn auch viel zu üppig für mich. Mein Magen war nicht daran gewöhnt, so viel Nahrung auf einmal aufzunehmen.
    – Wie kommst du zurück nach Kakuma?, fragte Abraham.
    Ich sagte ihm, dass ich noch immer vorhatte, irgendwie nach Narus zu gelangen.
    – Diesmal nicht, mein Kleiner. Auf dieser Reise hast du schon genug gesehen.
    Er hatte natürlich recht. Meine Kraft war erschöpft. Ich war vorläufig gescheitert, und damit war mein Plan gescheitert, mir blieb nur noch die Rückkehr nach Kakuma, ohne etwas gewonnen oder verloren zu haben. Ich dankte Abraham, und wir versprachen, uns wiederzusehen, und er brachte mich auf einem Krankentransport unter, der nach Loki fuhr. Dort wartete ich auf einen Lastwagen, der Richtung Kakuma unterwegs war und dessen Fahrer keine Fragen stellen würde. Ich konnte Thomas nirgends sehen und wagte mich nicht auf das Gelände von Save the Children. Ich ging die staubigen Straßen von Loki auf und ab und hoffte, dass sich noch vor Einbruch der Nacht eine Gelegenheit auftat, ehe die Turkana in mir eine leichte Beute erkannten.
    – He, Junge.
    Ich drehte mich um. Da stand ein Mann mit gebrochener Knollennase. Er sah aus wie ein Turkana, konnte aber durchaus auch etwas anderes sein – Kenianer, Sudanese, Ugander. Er sprach arabisch mit mir.
    – Wie heißt du?
    Ich sagte ihm, ich sei Valentino.
    – Was hast du da?
    Er interessierte sich sehr für den Inhalt meines Rucksacks. Ich ließ ihn kurz hineinschauen.
    – Aha!, sagte er und grinste plötzlich. Sein Lächeln war so breit wie eine Hängematte. Er sagte, er habe von einem sehr schlauen sudanesischen jungen Mann gehört, der Kleidung aus Kakuma Town besaß. Er schien ein sehr netter und sogar charmanter Mann zu sein, also erzählte ich ihm von meiner Reise, dem Lastwagen, den Leichen, Abraham und meinem gescheiterten Plan.
    – Nun ja, vielleicht ist ja noch nicht alles verloren, sagte er. – Wie viel würdest du für das alles haben wollen, die Hosen und Hemden und die Decke?
    Ich nannte ein paar Preise, bis wir uns auf siebenhundert Shilling geeinigt hatten. Es war nicht so viel, wie ich erhofft hatte, aber weit mehr, als ich in Kakuma dafür bekommen hätte und etwa doppelt so viel wie das, was ich für die Sachen bezahlt hatte.
    – Du bist ein guter Geschäftsmann, sagte der Mann. – Sehr gewieft.
    Bis zu diesem Augenblick hatte ich mich nicht für einen guten Geschäftsmann gehalten, aber die Einschätzung dieses Mannes schien mir durchaus berechtigt. Immerhin hatte ich soeben mein eingesetztes Geld verdoppelt.
    – Abgemacht, siebenhundert Shilling!, sagte er. – Ich muss den Preis zahlen, du hast mich in der Hand. Solche Hosen hab ich hier in Loki noch nie gesehen. Heute Abend bring ich dir das Geld.
    – Heute Abend?
    – Ja, ich muss hier auf meine Frau warten. Sie ist im Krankenhaus, um sich wegen einer Infektion untersuchen zu lassen. Sie ist mit

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