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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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ganz gleich aus welchem Grund. Die Abfahrt verzögerte sich, weil eine ganze Reihe komischer Vögel wie immer versuchte, noch rasch einen Platz in der Basketballmannschaft zu ergattern. Doch schon bald waren wir eine Autostunde von Kakuma entfernt, wir vierzehn, und die Sonne ging auf. Noriyaki und ich im Führerhaus und die zwölf Spieler, alle noch unter sechzehn Jahren, die hinten auf der Ladefläche auf Bänken saßen, wurden bei jeder Unebenheit der holprigen Straße durchgeschüttelt. Bis Lodwar waren es 190 Kilometer, und wegen der schlechten Straße und der Kontrollpunkte würde die Fahrt länger als vier Stunden dauern. Trotzdem waren alle gut aufgelegt, sangen alte Volkslieder und selbst erfundene Lieder.
    Die zweite frühmorgendliche Stammkundin kommt herein.
    »Valentino, mon amour! Wie geht’s?«
    Es ist Nancy Strazzeri, eine elegante Frau Mitte fünfzig mit kurz geschnittenem weißen Haar und einem blutroten samtenen Trainingsanzug. Einmal hat sie mir einen selbst gebackenen Kuchen mitgebracht.
    »Danke, gut«, sage ich.
    »Schon wieder irgendwelche Herzen gebrochen?«, fragt sie mich, als sie mir ihre Karte überreicht.
    »Ich glaube nicht«, sage ich.
    Ich ziehe ihre Karte durch das Lesegerät und Matt Donnelleys Gesicht wird durch ihres ersetzt.
    »Bis in einer Stunde, mon frère«, trällert sie und geht. Ihr Gesicht, ein müdes Gesicht mit Augen, in denen noch der einstige Schalk zu erkennen ist, bleibt.
    Nancy, die Straße nach Lodwar war mit Schlaglöchern übersät und hatte überall Risse, die zu kleinen gewundenen Canyons geworden waren. Noriyaki mühte sich mit dem Lieferwagen ab, den er erst einmal gefahren hatte und da auch nicht so lange. Es war ein Wagen mit Gangschaltung, und die Wagen, die sonst in Kakuma gefahren wurden, hatten Automatikgetriebe. Ich hatte noch nie in einem Fahrzeug vorne gesessen und versuchte, die Ruhe zu bewahren, obwohl Noriyaki den Wagen offensichtlich nur mit Mühe unter Kontrolle hielt.
    Die Zeit schien verlangsamt abzulaufen, als wir um eine Kurve kamen und das Hindernis sahen. Ein großer Erdhaufen lag links auf der Straße, wo er nicht hingehörte. Es gab keinen Grund, warum dieser Erdhaufen da lag.
    Noriyaki schrie etwas auf Japanisch und wich jäh nach rechts aus.
    Der Wagen geriet ins Schlingern, und Körper flogen an meinem Fenster vorbei. Die Spieler wurden von der Ladefläche auf die Straße geschleudert. Noriyaki wich erneut aus, diesmal nach links, aber er hatte die Kontrolle verloren. Der Lieferwagen kippte auf zwei Räder.
    Noriyaki schrie erneut auf, ein Wort, das ich nicht kannte. Schreie von der Ladefläche. Drei weitere Spieler fielen herab. Der Wagen ächzte, rutschte langsam von der Straße die Böschung hinab und drehte sich dann aufs Dach. Glas splitterte, Blech kreischte. Wir glitten nicht schnell hinab, aber unaufhaltsam, und als klar war, dass der Wagen sich noch einmal überschlagen würde, warf Noriyaki einen Arm quer vor meine Brust. Aber dann war er verschwunden.
    Der Wagen kam auf der Seite zum Liegen. Ich war noch im Führerhaus und sah durch die geborstene Windschutzscheibe zwei Jungen auf der Erde liegen. Ich schaute zu Noriyaki hinüber. Er war aus dem Wagen gefallen, der schließlich auf Noriyakis Brust gelandet war. Blut strömte wie Wasser aus seinem Kopf. Glassplitter steckten ihm in Wange und Stirn, überall um ihn herum waren Scherben, rosa von seinem Blut.
    – Oh!, sagte er, und dann schloss er die Augen.
    – Noriyaki!, sagte ich, und meine Stimme war viel schwächer, als mir lieb war. Ich griff durchs Fenster und berührte sein Gesicht. Er reagierte nicht.
    Auf einmal war jemand auf meiner Seite des Lieferwagens und zog an mir. Sogleich fiel mir die übrige Welt wieder ein. Die Tatsache, dass ich lebte.
    Man half mir aus dem Führerhaus und ich stand einen Moment. Inzwischen waren überall Menschen auf der Straße, fremde Menschen. Kenianer aus einem anderen Lastwagen, der Lebensmittel transportierte. Sie hatten den Unfall gesehen. Die Basketballjungen waren überall verstreut, auf der Straße und der Böschung. Wie viele waren tot? Wer hatte überlebt? Alle bluteten.
    – Dominic!, sagte eine Jungenstimme. – Was ist passiert?
    Dieser Junge schien unverletzt zu sein. Wo war er? Meine Arme und Beine schienen sich vom Körper losgelöst zu haben. Mein Hals tat weh, mein Kopf fühlte sich an wie abgetrennt. Ich stand in der Sonne, Schweiß brannte mir in den Augen, alles war so schwer, und ich schaute zu.
    – Eins,

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