Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North
einer Hand nichtsdestotrotz an der Waffe. Dummerweise verfing ich mich aber in dem dichten Gestrüpp am Straßenrand. Mein Stiefel steckte in einer Astgabel fest, und die beiden Arbeiter hörten, wie ich mich abmühte, und blickten auf.
Mein Versuch, mich zu befreien, endete damit, dass ich aus dem Unterholz krachte und dabei mit dem Gewehr herumfuchtelte, um mein Gleichgewicht zu halten. Die beiden Männer gerieten in Panik und ließen ihre Säge scheppernd auf den Baumstamm fallen. Und dann bemerkte ich einen dritten Mann, der weiter abseits stand, so dass ich ihn nicht gesehen hatte. Er wandte sich mir zu und hob sein Gewehr.
Ich lag rücklings auf dem Boden, meine beiden Waffen auf seinen Kopf gerichtet, und sagte so langsam und bedächtig wie ich konnte, dass er nicht schießen solle.
Er sagte, ich solle meine Waffen wegwerfen, und am Überschlagen seiner Stimme merkte ich, wie ernst es ihm war. Ich sprach weiter, ruhig und langsam, sagte, dass ich sie leicht hätte töten können, bevor sie mich auch nur gesehen hätten, hätte ich das gewollt.
Das Scheppern der Säge schien durch die Stille zu hallen. Ich wusste, dass er mich nicht erschießen wollte. Manche Menschen haben ein Talent für Gewalttätigkeiten, und ich sah ihm an, dass er dieses Talent nicht hatte, aber ich befürchtete, dass er mich ebenso gut aus Angst töten könnte.
Also legte ich meine Waffen weg und wartete darauf, dass er herkam.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er den Mut dazu aufbrachte, und als er dann endlich über mir stand, das Gewehr auf meine Nase gerichtet, hatte ich einen kalten Hintern und begann schon zu bereuen, dass ich die Waffen weggelegt hatte.
Auch die beiden anderen kamen jetzt zentimeterweise näher. Die Neugier in ihren Augen war nicht zu übersehen, trotzdem trauten sie sich nicht so nahe heran wie ihr Gefährte.
Der Mann mit dem Gewehr sah ziemlich verwirrt aus. Und er war älter, als ich gedacht hatte – nicht so stark wie die zwei anderen, folgerte ich, und daher nützlicher an der Waffe als an einer Säge. Er war auch wärmer eingepackt als sie – er hatte wohl damit gerechnet, Wache zu halten, während sie arbeiteten. Er hatte ein scharf konturiertes Gesicht, das mehr als einen Frost überstanden hatte, und eine große, knorpelige Nase, die an der Spitze rosig vor Kälte war.
»Was treibst du hier?«, fragte er. »Woher kommst
du? Zu wem gehörst du? Wie viele von euch sind hier?«
Ich bat ihn, das Gewehr aus meinem Gesicht zu nehmen, und sagte dann, dass ich allein war und ein Gesetzeshüter aus der freien Gemeinde Evangeline und daher befugt, eine Waffe zu tragen.
Er hatte einige Schwierigkeiten, diese Informationen zu verdauen. »Evangeline?«, sagte er. »Dort lebt niemand mehr. Woher kommst du wirklich?«
Seine Stimme klang aufrichtig empört, als hätte ich ihm erzählt, dass ich vom Mond komme, und von ihm erwartet, mir das zu glauben. Aber je öfter ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich, dass die Entrüstung, die er empfand, von Scham herrührte. Ihn dort in seinen zusammengeflickten Kleidern zu erwischen, mit seinem mehr als betagten Gewehr – für einen Mann, der alt genug war, sich an früher zu erinnern, musste das sein, als öffne man die Tür, während er gerade auf dem Klo sitzt.
»Ich komme wirklich aus Evangeline«, sagte ich, und seine Verwirrung war so groß, dass er das Gewehr zur Seite schwenkte. Ich sagte ja, er war kein Soldat.
Nun drängten sich die beiden anderen neben ihn und riefen: »Was sagt er?«
»Er sagt, er kommt aus Evangeline.«
Dass sie mich für einen Mann hielten, kümmerte
mich nicht. Die Wochen auf dem Highway hatten mich bestimmt nicht hübscher gemacht.
Ich fragte, ob jemand etwas dagegen hätte, wenn ich aufstehe, und einer der Holzfäller reichte mir die Hand und half mir auf die Füße. Dann stellte ich mich vor, worauf sie mich schweigend anstarrten. Also fragte ich sie, wo sie herkamen, um irgendeine Form von Unterhaltung ins Laufen zu bringen. Der Holzfäller, der mir aufgeholfen hatte, sagte: »Horeb.«
Jetzt war es an mir, verblüfft zu sein. Ihrem Aussehen und ihrem Englisch nach konnte man sie für Siedler halten, aber im ganzen Norden gab es keine Siedlung dieses Namens, zumindest hatte ich nie davon gehört. Und die Vorstellung, dass jemand in dieser Zeit noch den Willen und die Stärke aufbrachte, eine neue Siedlung zu gründen – nun, das überstieg meine Vorstellungskraft.
Ich hatte das Gefühl, in mir zappelte etwas
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