Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North
wie ein Fisch in einem Netz. Hoffnung. So schlecht ich für gewöhnlich über Menschen rede und nur das Schlimmste von ihnen erwarte, insgeheim hoffe ich doch darauf, dass sie mich überraschen. Ich schaffe es einfach nicht, sie völlig aufzugeben. Obwohl sie zu neunundneunzig Prozent Dreck sind, sind sie hin und wieder zu engelsgleichen Taten fähig. Ich kann nicht behaupten, dass mir das meinen Glauben wiedergibt,
denn ich hatte nie einen, aber es verwirrt schon, wenn so etwas passiert.
Und doch hatten es meine neuen Freunde nicht sehr eilig, mich mit ihrer Gastlichkeit zu überwältigen. Ja, ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie sich wünschten, ich würde ebenso plötzlich wieder verschwinden, wie ich aufgetaucht war. Ich erklärte ihnen, dass ich zwei Pferde dabeihatte, dass ich seit Wochen unterwegs war und dass ich überaus dankbar wäre, wenn ich bei ihnen die Pferde tränken und mich waschen könnte.
Sie willigten nicht ganz so schnell oder herzlich ein, wie man erwarten könnte, und sie warfen sich eine Reihe zweifelnder Blicke zu, ehe der Mann mit dem Gewehr nickte und der freundlichere der beiden Holzfäller mit mir ging, um die Tiere zu holen.
Dann wartete ich neben dem älteren Mann, während die Holzfäller ihre Arbeit beendeten. Er musste doch einfach neugierig auf mich sein oder wenigstens wissen wollen, wo ich herkam. Und ich hatte auch genug Fragen, die ich ihm stellen wollte. Doch jedes Mal, wenn ich etwas fragte, wandte er sich ab, um sein Gewehr in den Wald zu richten, als würde er jeden Moment mit einem Angriff rechnen.
Wir blieben noch mindestens eine Stunde dort. Schließlich beluden die Männer ihren Schlitten mit
dem Holz und legten sich ein Geschirr um, um ihn zu ziehen. Sie waren ein trostloser Haufen und wechselten kaum ein Wort miteinander, und ich fragte mich, ob sie immer so wenig redeten oder ob es meine Gegenwart war, die sie so schüchtern machte.
Ich ging mit meinen Pferden neben ihnen her, und nach einer Weile fragte mich endlich einer der Holzfäller, was mich nach Neu-Judäa verschlug. Es war so lange her, dass ich es jemanden so hatte nennen hören, dass ich einen Moment brauchte, um zu verstehen, was er meinte. Und dann musste ich fast über diese Männer lachen, die sich mit Mühe und Not auf diesem Stückchen Welt behaupteten und es immer noch bei seinem alten Namen nannten.
Ich sagte ihm, seine Frage erinnere mich an diese alte Geschichte von dem Jäger, der zu seinem Freund im Wald geht und unterwegs von einem Bären angefallen wird.
Der Holzfäller schüttelte den Kopf, offenbar kannte er die Geschichte nicht, und da unser gemeinsamer Spaziergang nicht gerade viel Unterhaltung bot, beschloss ich, sie ihm zu erzählen.
Der Jäger geht durch den Wald. Es ist Winter, und der Bär ist, was die Russen einen shatun nennen – ein Bär, der aus seinem Winterschlaf erwacht ist, weil es im Sommer nicht genug Nahrung gab, die Lachse nicht sprangen, es keine Beeren gab und so weiter,
und er sich deshalb nicht genug Fett hatte anfressen können.
Die Augen der drei Männer waren nun alle gespannt auf mich gerichtet, ja, es kam mir vor, als würde ich die Geschichte einem Haufen Kinder erzählen. Der, der mir die Frage gestellt hatte, hatte zwei blaue Augen, die so rund und vertrauensvoll waren wie zwei staunende Münder, und sein Gesichtsausdruck spornte mich an, die Geschichte mit allerlei Details auszuschmücken, denn mir gefiel, wie er das alles in sich aufsaugte.
»Also«, sagte ich, »wie ihr euch denken könnt, gibt es nichts Übellaunigeres als einen abgemagerten, schlaflosen Bären im Februar, dem der Pelz vor lauter Hunger schon ganz schlaff vom Körper hängt. Und was sieht dieser Bär nun? Einen kräftigen Jäger auf seinem Weg durch den Wald. Bei diesem Anblick läuft dem Bär das Wasser im Mund zusammen, und er springt den Jäger an. Der Jäger und der Bär kämpfen eine Weile, aber der Bär ist hungriger, stärker und verzweifelter. Dann, gerade als die riesigen Kiefer des Bären den Kopf des Jägers wie einen Kiefernzapfen zu zermalmen drohen, gelingt es diesem irgendwie, sich zu entwinden und zu fliehen. Ihr könnt euch ja vorstellen, wie übel zugerichtet er an der Hütte seines Freundes ankommt. Er ist mehr oder weniger mit dem Leben davongekommen, aber der Bär hat
ein großes Stück seines Arms mitgenommen und sein Gesicht blutig gekratzt. Zu allem Überfluss ist dem Jäger sehr schwindlig, wegen des Blutverlusts. Also hämmert er an
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