Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Aboriginal-Gemeinden geschickt und die komplette Kontrolle über die Verwaltung übernommen. Sie verhängte ein striktes Verbot von Alkohol, Drogen und Pornographie. Es war und ist ein bis heute anhaltender, in der Geschichte einzigartiger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht einer Gruppe von Australiern, die einzig durch ihre Ethnie definiert wurde. Auslöser war ein Bericht gewesen, der behauptete, der sexuelle und körperliche Missbrauch von Kindern sei in vielen Aboriginal-Gemeinden endemisch. Die zum Teil slumartigen Lebensbedingungen trügen wesentlich zur Situation bei. Der Hauptgrund für die katastrophalen Zustände sei der exzessive Alkoholkonsum, ermöglicht in erster Linie durch staatliche Wohlfahrtsgelder, so die Meinung der Experten. Männer würden ihre Frauen mit Gewalt zwingen, das Geld am Bankautomaten abzuheben. Dann kauften sie sich Alkohol. Schwer betrunken kämen sie nach Hause. Häusliche Gewalt und andere Verbrechen seien die Folge. Weil das Geld weg sei, hungerten die Kinder. Das wirke sich auf ihre Leistung in der Schule aus, auf die Disziplin und würde zu Drogenmissbrauch führen.
Die Regierung verordnete schließlich, dass die Hälfte aller Rentenzahlungen nur noch für Essen und andere lebenswichtige Güter verwendet werden kann. Bis heute müssen Aborigines im Northern Territory mit einer speziell für diesen Zweck ausgestellten Karte einkaufen. In einigen Gemeinden wirkte die Radikalmethode: Die Zahl der Verbrechen ging zurück, Kinder gingen vermehrt zur Schule – und sie hungerten nicht mehr. In anderen Dörfern bleibt die Situation kritisch. So herrscht bis heute Uneinigkeit, ob die Intervention ein Erfolg ist. Unbestritten aber ist: Viele Ureinwohner sind frustriert über die »paternalistischen« und »rassistischen« Maßnahmen. Der radikale Eingriff stütze einmal mehr das Vorurteil in der australischen Bevölkerung, wonach die meisten Aborigines Alkoholiker seien. Dabei ist der Anteil der Abstinenten unter Ureinwohnern deutlich höher als unter der Allgemeinbevölkerung.
Gelassen schlendert Mandawuy Yunupingu durch den Sand des Festplatzes; barfuß, das Hemd hängt locker über der Jeans. Kaum ein Aboriginal lebt zwei derart unterschiedliche Existenzen: An einem Tag war er ein Lehrer im Stamme der Yolngu, der mit dem Speer in der Hand Jagd auf Wasserschildkröten machte. Tage später war er ein Rockstar, der in Europa Stadien mit Zehntausenden Fans füllen konnte. »Ich wusste aber immer, wo mein Zuhause ist«, sagt er. Kinder führen einen traditionellen Tanz vor, zum Rhythmus einer uralten Melodie. Die ockerfarbene Bemalung auf ihrer dunklen Haut identifiziert sie als Angehörige der Yolngu. Viele Mitglieder dieser größten Aboriginal-Gruppe in Arnhemland leben noch stark traditionell. Doch Yolngu arbeiten auch in Bergwerken und der Verwaltung. Nicht anders als der Großteil der Ureinwohner Australiens. Sie wohnen in Städten, in Wohnungen und Häusern – genauso wie weiße Australier. Fast immer aber haben sie die direkte Beziehung zu ihrem traditionellen Grund und Boden schon vor Generationen verloren.
»Das ist eine der Hauptursachen für die vielen Schwierigkeiten«, erzählt mir Ian Morris, der sich zu uns stellt. Der schlaksige Mittfünfziger ist einer von wenigen Weißen, die von den Yolngu als Stammesmitglied akzeptiert wurden. Er ist ein ausgewiesener Kenner der komplexen Kultur der Ureinwohner. Jahrelang hat er als Lehrer in abgelegenen Aboriginal-Gemeinden gearbeitet, wo Englisch eine Fremdsprache ist. »In den Städten, wo die Menschen die Verbindung zu ihrer Vergangenheit verloren haben, sind auch die Probleme am größten«, meint er. »Land ist ein absolut fundamentaler Teil des Selbstverständnisses der Aborigines, selbst der städtischen. Der Boden, die Pflanzen, die Tiere und die Menschen, die Geister längst verstorbener Ahnen – sie sind eine über Jahrtausende gewachsene Einheit. Wenn man Aborigines von ihrem Land entfernt, schneidet man ihre Wurzeln ab.« Genau das sei zwei Jahrhunderte lang geschehen. Die Siedler im Australien des frühen 18. Jahrhunderts hatten wenig Verständnis für die alte und komplexe Kultur der Aborigines. »Sie beruht auf dem Prinzip des Teilens«, sagt Morris, »auf dem Schutz der Umwelt – der Quelle von Nahrung, Wasser und dem Leben. Dieses Prinzip stand über allem anderen.« Die Europäer jagten, ermordeten, vergewaltigten, vergifteten und beraubten die Ureinwohner. Und sie vertrieben sie von ihrem Land, um es
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