Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
ist. Aber er ist bestimmt nicht um die Ecke. Wir fragen uns, was das soll. Im Verlauf der Reise sollten wir immer wieder feststellen, dass Neville in Rätseln spricht. Neville will den Gästen erklären, wie die Angehörigen des Nyikina-Stammes 60000 Jahre lang gelebt haben. Mit einem Stock bricht der 47-Jährige aus einem mannshohen orange-braunen Termitenhügel faustgroße Stücke trockenen Lehms. In einer von den Insekten gebauten Kammer findet er mehrere Handvoll Samen von Gräsern aus der Umgebung. Die Ureinwohner zermahlen sie und backen aus dem Mehl eine Art Fladenbrot. »Seht ihr: wie in einem Supermarkt. Die Termiten schleppen das Essen an, verarbeiten es, und wir bedienen uns.« Sagt’s, greift zur Kühlbox und setzt sich eine Dose »Mother« an den Mund, eine koffeingeladene australische Version des Energiedrinks »Red Bull«. »Aah, ich liebe das Zeug«, meint Poelina. Auch Neville lebt scheinbar problemlos in zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. »Nicht dass das so einfach wäre«, sagt er und nippt an seiner Dose. »Denn wenn man die Beine zusammengebunden hat, kann man nicht rennen.« 200 Jahre lang sei den Ureinwohnern von der Regierung gesagt worden, was sie tun sollen und was nicht. »Denk daran: Erst in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts erhielten die Aborigines die australische Staatsbürgerschaft, tatsächlich wurden die indigenen Bewohner Australiens davor noch zur ›Flora und Fauna‹ gezählt. Ich begann meine Schuljahre als Tier und beendete sie als Mensch«, sagt Neville und grinst.
Neville repräsentiert eine Seite des indigenen Australiens, von der man nie liest: die des erfolgreichen Geschäftsmannes. Er ist Gründer und Besitzer des Aboriginal-Tourismusunternehmens Uptuyu. Gemeinsam mit seiner Frau Jo leitet er ein kleines Camp tief in den Kimberley. Von dort aus führt er Touristen aus aller Welt in die Mythologie, die Geschichte und den traditionellen Alltag der Ureinwohner ein. »Ich habe mir das alles selbst aufgebaut«, meint Poelina stolz, »ohne Hilfe der Regierung.« Er will ein Vorbild für Aboriginal-Kinder sein, ein Mentor.
Tourismus ist für viele Ureinwohner zu einer Chance geworden, ihre Träume und Hoffnungen zu verwirklichen. Sie wollen selbst, auf eigene Faust und nicht mehr nur als Angestellte eines »weißen« Unternehmens einen Weg aus Abhängigkeit und Frustration beginnen. Dutzende touristische Unternehmen wurden in den letzten Jahren von Aborigines gegründet. Es gibt inzwischen spezialisierte Kurse und Universitätslehrgänge für Aborigines. Dabei lernen junge Berufseinsteiger nicht nur, wie man Touristen das Überleben in der trockenen Umwelt der Kimberley lehrt, sondern auch, wie man einen trockenen Martini mixt.
Wir sind am Ziel unserer Reise. Die Stadt Broome hat eine große Touristenattraktion, und das ist der Strand. Cable Beach, 22,5 Kilometer lang. Nach acht Tagen Savanne und rotem Sand ist nur der Anblick von Wasser erfrischend. Die meisten Mitglieder unserer Gruppe stürzen sich ins Meer. Neville und ich setzen uns in den Sand.
»Ist Tourismus die letzte Hoffnung, damit die einzigartige Kultur der Ureinwohner überlebt?«, frage ich ihn. »Nicht die letzte Hoffnung«, meint er, »aber eine starke.« Die indigene Lebensart, die Geschichte, sie werde von allen Seiten bedroht. »Fernsehen, Hip-Hop-Musik, LSD – von der Konsumgesellschaft eben.« Es helfe nur, mit gleichen Mitteln zurückzuschlagen. »Wir müssen unsere Kultur kommerzialisieren«, erklärt er. Tourismus gebe jungen Aborigines einen Grund, wieder Interesse zu finden an Traditionen und alten Werten. »Denn sie können damit Geld verdienen«, erklärt er. So sei es besonders wichtig, dass junge Aborigines wieder die vielen Arten von »Bushtucker« kennenlernen, die man in den Kimberley findet. Und die er selbst auch liebend gerne selbst isst: Früchte, Beeren, Kängurus, Schlangen, Echsen, Schildkröten. Nur Fledermäuse, die mag er nicht, sagt Neville. »Warum soll ich etwas essen, das den ganzen Tag verkehrt an einem Baum hängt, schläft und dabei noch über sich selber scheißt? Da kauf ich mir lieber einen Hamburger.«
KAPITEL 37
Obwohl ich immer gerne auf Reportage gehe, nach Hause kommen ist besser. Nicht nur Christine und die Jungs freuen sich, sondern auch Max. Und selbst von Susi gibt’s ein aufgeregtes Grunzen, auch wenn sie sich wahrscheinlich nur dafür interessiert, ob ich ihr etwas zu futtern gebe. Und ich kann wieder mein Alphorn
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