Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
spielen.
Es ist ein Moment, den es viel zu selten gibt und den ich schätze, wie vielleicht ein religiöser Mensch den sonntäglichen Gang in die Kirche schätzt. Vor ein paar Jahren kam ich zu diesem Instrument, mehr durch Zufall als durch Absicht. »Eine Langzeit-Leihgabe«, sagte Simone. Sie und ihr Mann Peter sind gute Freunde von uns in der Schweiz und begnadete Alphornspieler. Obwohl es auch in anderen Ländern gespielt wird, ist das Alphorn fast ein Inbegriff der Schweiz, von helvetischer Kultur. Noch immer vorwiegend von Hand gefertigt, ganz aus Holz, über drei Meter lang, ist es heute für den Transport zerteilbar. In den Alpen wurde es früher von Bauern benutzt, um am Abend die Kühe heimzurufen. Die Tiere werden von den tiefen, sanften Tönen auf fast magische Art und Weise angelockt. Der sonore Ton hat auch eine beruhigende Wirkung auf Menschen. Für mich ist das Alphorn ein Mittel, um innere Stille zu finden.
Das Alphorn war auch Auftakt zu einer der emotionalsten Erfahrungen meines Lebens. Es war der Tag meines fünfzigsten Geburtstags. Ich hatte Christine gebeten: »Kein Stress, keine Party, keine Geschenke, keine Überraschung.« Ein solch großer Jahrestag hält einem ja nur vor Augen, dass es von jetzt an nur noch in Richtung Friedhof gehen kann. Außerdem mag ich keine Überraschungen.
Trotzdem erklärte ich mich einverstanden, dass wir wenigstens unsere allerbesten Freunde einladen. Erika und Andy aus Sydney mit ihrer Tochter Sonia und Anja mit ihren drei Kindern. Ein Mittagessen, klein und intim, das war in Ordnung. Am Sonntag, nach dem Frühstück, verzog ich mich, wie eigentlich immer, in mein Büro. Als ich etwas später rausgehen wollte, um für die Kinder ein Feuer zu machen, hielt mich Samuel zurück. »Du musst mir bei den Hausaufgaben helfen.« Das hatte es noch nie gegeben. Samuel ist ein selbständiger Schüler. Doch er insistierte und stellte mir die dümmsten Fragen. »So, ich muss jetzt aber wirklich raus«, sagte ich. »Nein, du bleibst«, so seine Antwort.
Eine halbe Stunde später hörte ich plötzlich einen vertrauten Ton. Ich trat auf die Veranda. Auf dem Hügel zwischen unserem Haus und dem Shed standen zwei Alphornspieler und bliesen ihre Instrumente. Mir war sofort klar: Christine hatte als Geburtstagsüberraschung zwei Mitglieder des Alphornclubs Sydney engagiert. Ich rannte hoch. Als ich auf dem höchsten Punkt des Hügels ankam, ging ich vor Schrecken fast in die Knie. Auf der anderen Seite stand, in absoluter Stille, eine Masse von Menschen und dahinter eine Kolonne geparkter Autos. Ohne dass ich irgendetwas gemerkt hatte, waren fast alle meine Freunde angereist, praktisch alle Bekannten, die ich in Australien habe. Einige waren Hunderte von Kilometern gefahren. Ich war so schockiert, dass ich für eine gute halbe Stunde nicht sprechen konnte. Was folgte, war die Party meines Lebens. Schon vor Monaten hatte Christine unsere Freunde eingeladen, Essen und Getränke organisiert und natürlich die Alphornspieler. »Nie wieder«, sagte ich vor meinen Freunden im Spaß, als ich mich endlich etwas erholt hatte, »werde ich dieser Frau trauen können.«
Es war die größte und freudigste Überraschung meines Lebens. Und es war der Tag, an dem ich zum ersten Mal wirklich merkte, dass wir in Australien zu Hause sind.
Seither hat das Alphorn für mich eine noch wichtigere Bedeutung. Es ist nicht einfach zu spielen. Die Töne werden nur durch die Stellung der Lippen und durch die Kontrolle der Atmung geformt. Ähnlich, aber nicht gleich, wie beim australischen Didgeridoo.
Um ein Didgeridoo zu fertigen, sucht man sich einen dünnen Baum, meistens einen Eukalyptus, dessen Stamm von Termiten ausgehöhlt worden ist. Ein bis zu ein Meter fünfzig langes Stück dieses Holzes wird dann gesäubert und geschliffen, bis es als Blasinstrument eingespielt und benutzt werden kann.
Viele Ureinwohner sind frustriert über die Vermarktung, über die weltweite Kommerzialisierung dieses Instruments, das für viele noch traditionell lebende Aborigines eine hohe spirituelle Bedeutung hat. Heute kann man Didgeridoos an jeder Straßenecke kaufen – viele sind »made in China«, oder sie wurden von Backpackern bemalt, die sich auf ihrer Australienreise ein paar Dollar verdienen wollen. Wer das Didgeridoo spielt, sollte es mit dem notwendigen Respekt behandeln. Dazu gehört die Akzeptanz, dass das Blasen des »Yidaki«, wie es in der Sprache der nordaustralischen Yolngu heißt, traditionell
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