Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
Gemüsebeet rasch auf Nagetiere und sonstige Schädlinge. Karotten und Kartoffeln wuchsen dort, und an drei blassen Kohlköpfen, den letzten der Saison, war offensichtlich gebuddelt worden. Mrs Cole hockte sich hin und zupfte zwei dicke Raupen von einem Kohlkopf. Sie zerquetschte sie unter den Sohlen ihrer Lederschuhe.
» Mrs Cole?«
Der vertraute Akzent erschreckte sie, und sie sprang auf. Sie trat ans hintere Tor und spähte den Weg entlang. Flach an den Holzzaun des Nachbarhauses gedrückt stand ein dunkelhäutiger Mann in einem teuren taubengrauen Anzug, die Haare unter einem Turban verborgen. Mrs Cole blickte sich nervös um, bevor sie auf den Weg hinaustrat.
» Ich habe Sie nicht erwartet«, flüsterte sie und raffte die Röcke, um über einen Haufen Pferdeäpfel zu steigen.
» Wie geht es dem Mädchen?« Er zündete sich eine Zigarette an und hustete, als er den Rauch inhalierte.
» Sie lernt sehr fleißig.« Mrs Cole blickte zum Reihenhaus zurück. Die Fenster im oberen Stockwerk waren geschlossen, die Vorhänge zugezogen.
» Und die Gesundheit des Vaters?«
» Sehr schlecht.«
» Sie erwarten also nicht, dass er dieses Jahr überlebt?«
Mrs Cole zuckte mit den Schultern. » Wer weiß das schon?« Wind kam auf und wehte Blätter und Unrat über den Weg.
Der Mann schlug seinen Kragen hoch. » Danke.«
Er war gegangen, bevor Mrs Cole noch etwas sagen konnte. Sie blickte ihm nach, bis er um die Ecke verschwunden war. Dann ging sie wieder in den Garten, um den Korb zu holen. Er war leer. » Verflucht.« Die Einkaufsliste lag zwischen den Karotten und den Kohlköpfen, aber der Brief war verschwunden. » Verflixt und zugenäht.« Erst jetzt bemerkte sie, dass Claires Fenster weit offen stand.
Teil IV
Sommer, 1987
Tongue, Nord-Schottland
Unbekannte Düfte hingen in der Luft, ein Hauch von Feuchtigkeit, der nach See und Meer zugleich roch. Sarah fuhr durch eine dünn besiedelte Landschaft. Aus dem Kamin eines winzigen Bauernhauses mit B&B-Schild stieg dünner Rauch, dessen scharfer Geruch stärker wurde, als sie dicht daran vorbeifuhr. Erst jetzt konnte sie die Welt erkennen, in die sie hier eingedrungen war. Ein Hund saß geduldig neben einem Autowrack, eine Mutter schob einen uralten Kinderwagen, ein paar Vögel flogen durch die Landschaft. Es hätte überall auf der Welt sein können, aber so hatte sie es sich nicht vorgestellt. Es war so, als hätten die vierzig Kilometer, die sie am Tag zuvor zurückgelegt hatte, sie in eine öde Mondlandschaft katapultiert. Überall lagen Felsbrocken; am Straßenrand, an den unterschiedlich großen Lochs, an denen sie vorbeikam. Sie bildeten Wälle, lagen auf Hügeln herum, auf Feldern. Und aus den Feldern waren große Erdstücke geschnitten worden, die man zum Trocknen liegen gelassen hatte. Die Landschaft wirkte wie verstümmelt. Sarah fuhr langsamer und fragte sich, wie viel Torf in diesem baumlosen Land, das vom Wetter und Jahrhunderten der Besiedlung ausgebeutet worden war, wohl noch gewonnen werden konnte.
Es war Sommer. Und doch war es nicht heiß. Es gab keine Bäume, keine Blumen und kaum Gärten. Sarah war erschöpft, und da sie sich nach einer Abwechslung in der Monotonie der Szenerie sehnte, bog sie nach links ab. Der Wind drückte das Auto zur Seite. Rechts von ihr brandete unten die Nordsee an die Felsen. Vor ihr ragte ein mit Heidekraut bewachsener Hügel auf. Im Ort Tongue führte eine schmale Straße zu einem Parkplatz vor der frisch gekalkten Fassade eines ansonsten wenig bemerkenswerten Pubs. Sarah stellte den Motor ab und stieß erleichtert die Luft aus. Seit sie Australien verlassen hatte, spielte sie im Kopf immer wieder die letzte Szene mit Jeremy ab, als sei sie in einer Art Endlosschleife gefangen. Dieser Moment, der letzte, den sie jemals mit ihm verbringen würde, ging ihr nicht mehr aus dem Sinn, in den letzten beiden Stunden jedoch hatten sich noch weitere Gedanken hinzugesellt. Anthony, ihre Eltern, ihr Großvater und ihr geliebter toter Bruder zerrten zwar an ihr wie unerwünschte Kinder, aber hinter jedem Gedanken stand eigentlich Wangallon. Kopfschüttelnd zog Sarah ihren Reiseplan hervor und suchte nach der Adresse ihres nächsten B&B. Es lag am Rand des Ortes, so dass sie noch einen Nachmittagsspaziergang machen konnte, bevor es dunkel wurde.
Sie ergriff ihren Rucksack und lief zu einem ausgeschilderten Wanderweg. Er führte bergab durch hohes, nasses Gras, und mit ihren engen Stiefeln rutschte sie aus. Die Berge in der Ferne
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