Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
erfahren, dass seine Schafe gestohlen worden und seine Pläne schiefgelaufen waren. Das Missgeschick war bestimmt noch komplizierter geworden, als Reynolds erfuhr, dass Sir Malcolm Wiley Bescheid wusste, dass sein geschätzter Agent ihn bestohlen hatte. Hamish stellte sich vor, dass Reynolds keine Zeit verloren hatte und im Schutz der Nacht schleunigst verschwunden war. Tootles war jetzt auf einmal ein äußerst geachteter Geschäftsmann.
Die Handelsgesellschaft von Ridge Gully würde Tootles mit offenen Armen empfangen, und der Bankdirektor würde die Brosche aus Gold und Jade wieder in den Banksafe legen, was gut war für eine weitere größere Transaktion in der Zukunft. Vielleicht das Kaufhaus, dachte Hamish, unter Leitung von Lorna Sutton. Scharfsinnig genug wäre die Frau dafür.
Hamish streckte sich auf seiner Decke aus. Sir Malcolms Schafe waren auf dem Weg zurück zu Sir Malcolm, zumindest fünftausend davon. Die verbleibenden zweitausend, ihre jetzigen Schützlinge, waren bereits an einen Agenten aus Queensland verkauft. Und da er seinen Vertrag erfüllt hatte, konnte Hamish sich am Ende der Woche in Reynolds’ Backsteinresidenz häuslich niederlassen. Lee würde morgen nach Ridge Gully zurückkehren, um sicherzustellen, dass Tootles die nächste Transaktion durchführte. Hamish schloss die Augen. Er war jetzt ein respektabler Mann. Allerdings würde er die Einladung, die er nach seiner Rückkehr von Sir Malcolm erwartete, ausschlagen. Es würde seine Errungenschaften nur schmälern, wenn er sich von einem Engländer feiern ließ. Außerdem würde Sir Malcolm dann dahinterkommen, dass er nicht der reiche schottische Nachbar war, den die Einwohner von Ridge Gully in ihm sahen. Hamish gähnte. Morgen würde er Jasperson den Befehl geben, den beiden Jungs, die sie vor zwei Wochen eingestellt hatten, die Kehle durchzuschneiden. Es war nicht zu ändern. Es waren ungebildete Jungen, die Söhne von Sträflingen, und man konnte ihnen nicht trauen.
» Sie ist Reynolds’ Hure«, sagte Lee leise, während er auf einem großen Klumpen Kautabak kaute.
Hamish fuhr hoch. » Hure? Wovon redest du, Lee?« Er hatte am Feuer gedöst und war gelegentlich vom Rascheln kleiner Nachttiere wach geworden.
» Lorna ist eine Hure«, sagte Lee und legte ein Scheit für die Nacht auf das Feuer.
» Woher weißt du das?«, fragte Hamish. Er blickte sich um. Dave schlief fest, während Jasperson und einer der Jungen fehlten.
» Ich bin ihr gefolgt.«
Hamish machte eine abfällige Handbewegung. Lorna, klein, fett, unattraktiv und eine Hure. Er dachte an die Abende, die er in ihrer Gesellschaft verbracht hatte, ging jedes Detail ihrer Gespräche durch, aber da war nichts gewesen; nichts jedenfalls, was Reynolds etwas nützen könnte. » Verdammt«, sagte Hamish laut. Irgendwie war es der Frau gelungen, eine hübsche Tochter großzuziehen und ihn zum Narren zu halten. » Verdammt!« Irritiert fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare, aber dann entspannte er sich wieder. Die Tochter war jedenfalls unschuldig, und wenn Ridge Gully erst einmal wie ein leerer Brunnen hinter ihm lag, würde niemand mehr wissen, woher seine Frau kam. Lorna würde tun, was er wollte, und sie würde dafür sorgen, dass auch Rose sich gut benahm. Hamish legte sich wieder hin und zog seine Decke über sich. Er konnte noch lange genug darüber nachdenken, dass selbst das Negative sich als nützlich erweisen konnte, wenn man dabei war, sich ein Imperium zu erschaffen.
Sommer, 1858
Ridge Gully
Rose Gordon seifte ihren Körper sorgfältig mit einem Schwamm ein. Das warme Wasser glitt über die Rundung ihres Bauchs. Im Lampenschein glitzerten die Wassertropfen, die sich zwischen ihren Brüsten sammelten und in Bächen in den Bund ihres Unterrocks liefen. Irritiert trocknete sie sich ab, legte sich ins Bett und zog sich die Decke bis ans Kinn. Neun Monate war sie jetzt verheiratet, und die meiste Zeit davon schwanger. Wenn er nicht schon am Tag ihrer Hochzeit dringende Geschäfte gehabt hätte, die ihn fast zwei Wochen lang ferngehalten hätten, dann hätte sie jetzt schon entbunden.
Oh Gott, wie war sie nur auf den Gedanken gekommen, die Ehe mit diesem unsichtbaren Schotten könne das sein, was sie wollte? Natürlich hatte sie Hoffnungen gehabt, nichts Großes, nein, eine bescheidene Hochzeit, vielleicht eine Kutsche, ein weißes Kleid, ein wenig Spitze. Vielleicht, hatte sie gedacht, würde ja Sir Malcolm alles bezahlen oder zumindest ein Geschenk
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